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In Linz „Raskolnikoff“ —in Wien „Der Waffenschmied“

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Seit 1939 in Dresden unter Dr. Karl Böhm Heinrich Sutermeisters Erstlingsoper „Romeo und Julia" uraufgeführt wurde, steht der 1910 geborene schweizerische Pfarrersohn, der in München bei Courvoisier, Pfitzner und Orff seine Studien vollendet hatte, als eine der verheißungsvollsten Musikerpersönlichkeiten der mittleren Generation im hellen Licht der Rampen und der Scheinwerfer. War auch die „Zauberinsel" nach Shakespeares „Sturm", die 1942 in Dresden herauskam, nicht ganz so erfolgreich wie „Romeo und Julia", so wiederholte sich doch deren aufsehenerregender Erfolg 1948 in Stockholm mit dem „Raskolnikoff" — worüber an dieser Stelle seinerzeit ausführlich berichtet wurde —, den nun Linz kurz nach Hindemiths „Mathis" und Lehners „Schlauer Susanne" als erste österreichische Bühne gebracht hat.

Dem Werk liegt Dostojewskijs Roman „Schuld und Sühne" zugrunde, der vom Bruder des Komponisten, Peter Sutermeister, vermutlich weitgehend nach dessen Wünschen und Weisungen in außerordentlich geschickter Weise bearbeitet worden ist, so daß die Oper in sechs knappen, schlagkräftigen Bildern mit einer Bühnenwirksamkeit abrollt, der man sich unmöglich entziehen kann. Sehr klug haben die Brüder Sutermeister die Handlung in dem Augenblick abgeschlossen, in dem Raskolnikoff zur ethischen Tat und zur religiösen Läuterung durchstößt und sich zur Sühne seiner .Untat, des Mordes an der Wucherin, bereit zeigt. Und ein dramaturgisch geradezu genialer Einfall war es, ihm in seinem sichtbaren „zweiten Ich" den „Dämon des Zerwürfnisses mit sich selbst" als Gegenspieler gegenüberzustellen, so also seine „Gespaltenheit" sinnfällig zu machen, die itn Moment des entscheidenden Entschlusses zur versöhnten Einheit wird.

Sutermeisters Tonsprache ist vielfach als neo- veristisch bezeichnet worden, und dieses Etikett wurde auch diesmal wieder verschiedentlich verwendet. Wir schließen uns dem nicht an, sondern möchten wohl eher von einer expressionistischen Musik sprechen, wenn auch nicht im Sinn einer begrenzten, speziellen Stilrichtung, so doch dem ursprünglichen Sinn des Wortes nach. Gegenüber „Romeo und Julia" fällt auf, daß Sutermeister an Stelle der gesanglichen Melodik den Sprechgesang mit deutlichster Deklamation bevorzugt. Im Orchester arbeitet er mit scharf charakterisierenden Themen, mit pstinaten Motivwiederholungen und bohrend hartnäckigen Rhythmen, die von eindring- lichster und aufwühlender Wirkung sind. Die Harmonik ist kompliziert, aber keineswegs atonal, die Instrumentation ohne Selbstzweckhaften Schönklang und dem dramatischen Ausdruck dienstbar. Eine bedeutende Rolle spielt der zum großen Teil hinter der Szene singende Chor als Spiegelung und Versinnlichung dessen, was hinter und übet den realen Vorgängen steht. Im gleichen Sinn wirken ausgedehnte Zwischenspiele zwischen den einzelnen Bildern.

Die Aufführung wär im Zusammenwirken von Regie Oskar Wälleck, musikalischer Leitung Siegfried Meik, Chorleitung Dr, Leopold Mayer und Bühnenbild Frank Schultes, Frankfurt am Main, als Gast von eindringlichster Geschlossen, heit, das Wesen des Werks erfassend, frei vor jeder Opernschäblone. In den Hauptrollen: Pavel Mirov Raskolnikoff, Hugh Beresford zweite: Ich, Gertrud Burgsthaler Mutter, Haymo Pock berger Rasumichin, Sprechrolle, Gerhard Soucel Marmeladoff, Elisabeth Ranic dessen Frau Eva Maria Kasper Sonja.

Der Beifall, für den der Komponist sich samt den Darstellern bedanken durfte, war Ausdruck der Begeisterung und Ergriffenheit.

Dagegen hat Wien sich noch im April für den Vormärz entschieden und Albert Lortzings biederen „W affenschmied" allen neueren und problematischeren Helden vorgezogen. Das einzige Neue daran war, daß die alte Oper jungen Händen anvertraut wurde, die frisch zupackten und überraschend fertige Leistungen boten, die sich gleichwertig um die Hauptrolle Alois Perners- torfer gruppierten. Gewissermaßen hatten sie es leicht, denn Lortzing, der Schauspieler, verstand sich vortrefflich aufs Rollenschrpiben; doch mag es ihnen schwer genug gefallen sein, die abgestandenen Typen dieser Gartenlaubegeschichte, denen jede Beziehung zum heutigen Menschen fehlt, lebendig zu machen. Sie haben es jedoch geschafft; Hilde Rössel-Majdan, Else Liebesberg und Murray Dickie seien für alle andern genannt. Michael Gielen am Pult hielt die bürgerlich-niedliche Musik, die doch voller Theaterblut ist, in Zucht und Ehren, nahm sie ernst, was der heiteren Muse immer zum Vorteil gereicht, und entfaltete ihre anmutigen Züge mit sorgfältiger Hand. Von allen Renaissancen, die auf der Bühne der Volksoper inszeniert werden, scheint uns die hier begonnene die weittragendste und bedeutendste zu sein; nicht diejenige Lortzings, sondern die andere: d e m Nachwuchs die große Chance zu geben, den so leistungsfähigen und begabten jungen Kräften große Aufgaben zu stellen. Ob diese nun freilich nur in der Vergangenheit liegen, ist eine andere Sache. Jede Generation hat ihr Profil, im Schaffen wie in der Darstellung, es ist eine große Verantwortung, ihr das Heute zu verweigern, sie ins Vorgestern zu verbannen. Sie haben hier den Beweis erbracht, daß sie dieses ebensogut meistern wie die gestern Gegenwärtigen, und haben nun ein Recht, ihre eigene Zeit mitgestalten zu helfen. An Gelegenheit fehlt es nicht; sie muß ihnen bloß gegeben werden. Um so lieber — und vielleicht auch ehrfürchtiger — werden sie dann auch das Erbe der Vergangenheit betreuen; das heroische — und das bürgerliche.

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