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Trauermusik auf Bestellung

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Man weiß, daß Corelli und Bach, Händel und Haydn die meisten ihrer Werke im Auftrag, das heißt für ihre Brotherren und zu einer bestimmten Gelegenheit, geschrieben haben. — Weniger bekannt ist vielleicht, daß auch die meisten der berühmtesten zeitgenössischen Komponisten, wie Honegger, Milhaud, Strawinsky, Hindemith und andere, die überwiegende Mehrzahl ihrer Kompositionen auf Bestellung. als Auftragswerke, schufen. Wobei den Komponisten oft noch die gewünschte Dauer, die mögliche Besetzung, ja die akustischen Bedingungen des Raumes, wo die Uraufführung stattfinden soll, bekanntgegeben wurden. Bedeutet dies nun eine Einschränkung, eine Knebelung oder gar die völlige Aufhebung der schöpferischen Freiheit? Wissen wir doch anderseits, daß Musiker wie Pfitzner, Mahler oder die der „Neuen Wiener Schule“ angehörenden Komponisten nicht — oder nur ganz selten — im Auftrag geschrieben haben.

Es gibt in der neueren Musikliteratur sehr zahlreiche und interessante Zeugnisse dafür, daß der „Auftrag“ und die damit verbundene „Beschränkung“ die Phantasie des Komponisten nicht fesselt, sondern die schöpferischen Kräfte erst recht in Bewegung setzt. Hinzu kommt eine innere Einstellung vieler zeitgenössischer Musiker, die sich etwa in dem Ausspruch Hindemiths spiegelt, daß der Komponist beim Schreiben nicht einfach nur auf seine eigene Befriedigung bedacht sein, sondern hierausfinden soll, was seine Hörer bewegt. „Wenn er an seine Spieler und Hörer, an den Zweck seiner Musik denkt, gibt das den besseren, reineren Ausdruck.“

Wir haben ein solches „Auftragswerk", das unter ganz besonderen äußeren Bedingungen entstanden ist, vor kurzem in Wien gehört. Es handelt sich um Hindemiths „Trauermusik für Viola und Streichorchester“. Im Jänner 1936 befand sich der Komponist in London, um auf Einladung der dortigen Rundfunkgesellschaft, der British Broadcasting Corporation, ein Konzert zu geben. Am Tag, da er eintraf, starb

Georg V. von Großbritannien, und Hindemith wurde gebeten, zu dessen Gedächtnis eine Trauermusik zu schreiben. Einen Tag später war die Komposition, ein etwa knapp zehn Minuten dauerndes Werk mit vier kurzen Sätzen, beendet, und 24 Stunden später wurde die Komposition in der BBC gesendet, mit Paul Hindemith als Solobratschisten. Es ist ein schönes Stück Musik, das in der Gesamtstimmung und durch Anwendung eines kirchentönig gefärbten Moll sowie durch die Abwandlung des Bach-Chorals „Vor Deinen Thron tret ich hiermit“ auch dem äußeren Anlaß durchaus gerecht wird.

Hindemiths „Trauermusik“, deren Solopart Hatto Beyerle tonschön und ausdrucksvoll spielte, stand auf dem Programm eines Konzerts, das die „W i e n e r Solisten“ im fast vollbesetzten Mozart-Saal gaben. Das aus 14 durchweg jungen Musikern bestehende Ensemble wurde vor einem Jahr im Rahmen der „Musikalischen Jugend" gegründet und gab in letzter Zeit für diese Organisation mehrere Konzerte, die so gelungen waren, daß das Ensemble sowohl Einladungen von ausländischen Konzertagenturen als auch Angebote von Schallplattenfirmen erhielt. Die Proben, die wir hörten (Streicherkonzerte von Vivaldi, J. S. Bach und ein Divertimento von Mozart), rechtfertigen durchaus diesen erfolgreichen Start. — Noch ist, was Intensität des Tones und des Vortrags, absolute Tonreinheit und technische Perfektion betrifft, selten die höchstmögliche Perfektion und Vollkommenheit erreicht. Aber die jungen Leute gewinnen und überzeugen durch eine sympathische, unprätentiöse, undogmatische und ehrliche Art des Musizierens, die ihnen offensichtlich ihr — gleichfalls noch junger, aber schon als Musikpädagoge tätiger — Leiter Willfried Böttcher beigebracht hat. Wenn es den „Wiener Solisten“ gelingt, beisammenzubleiben und sich zu perfektionieren, werden ihre Konzerte eine Bereicherung des Wiener Musiklebens sein.

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