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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DEN ITALIENISCHEN TEMPERAMENTSAUS- BRÜCHEN zur Lage in Südlirol, die sich in der vergangenen Woche in geräuschvollen Aufmärschen und Kundgebungen ausdrückfen, scheint bereits allenthalben Katzenjammer zu folgen. Zwar gibt es noch vereinzelt recht einseitige und unversöhnliche Presseatfacken, die offiziellen Stellen dagegen versuchen nunmehr, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Daß die vielzitierten Studentenkundgebungen auch nicht immer von maßgeblichen Gruppen inszeniert worden sind, beweist ein Telegramm der italienischen Hochschülerschaft an die Oesterreichische Hochschülerschaft, das die Anrede „Liebe Freunde" gebraucht und sich von den „unverantwortlichen Offenbarungen" einzelner Hoch- und Mitteln schülergruppen scharf distanziert: man stehe ihnen „fremd gegenüber". Die Italiener versichern darin abschließend ihren österreichischen Kollegen ihrer nach wie vor bestehenden „Mitarbeit und Freundschaft". In Kreisen unserer Hochschülerschaft hat man diese Kundgebung mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, hält aber die Resolution aufrecht, in der man in den letzten Tagen sachlich und maßvoll gegen das Verhalten Italiens protestiert und bis zur Klärung der Lage zu würdigen Protesthaifungen auf den Gebieten der Kultur, des Sports und der Italienreisen aufruft.

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WAS DEM STIER DAS ROT, ist der „Arbeiterzeitung" das Schönbrunner Gelb. Dieser bedingte Reflex wird in einem Artikel offenkundig, mit dem diese Zeitung dem 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing, dem früheren Nobelbezirk, in dem das Schloß Schönbrunn liegt, eines am Zeug flickt. Sie destilliert nicht nur aus dem alten Oesterdeich, das dort domizilierte, die gesellschaftskrifische Bitterkeit heraus, sondern webt fleißig auch die eigenen Ressentiments hinein. Etwa: „Es wundert einen, daß bei der Hietzinger Brücke nicht eine Tafel steht: „Nur für geladene Gäste." Am Ende der einseitigen Abhandlung meint sie, wenn einmal genügend Gemeindebauten stünden, würde allerdings an jener Brücke eine Tafel stehen: „Herzlich willkommen!" Wie auch sonst häufig, unterlaufen dem Blatt dabei historische Schnitzer. Daß der alte Kaiser „Karl Franz Josef" geheißen haben soll, ist denn doch völlig neu. So hat nämlich der Kaiser Karl als Erzherzog geheißen. Daß man den mit falschen Namen bezeichneten Kaiser Franz Joseph I. in Zusammenhang mit perfiden Zweideutigkeiten zu der Frau Schratt sefzt, bestätigt nur Franz Werfels klugen Satz, „daß keine Rache berauschter ist, als die der angestauten Minderwertigkeitsgefühle an den alten Werten’.

„GENERALE STEHEN NUN EINMAL NICHT UNTER DENKMALSCHUTZ." Mit diesen Worten wandte sich der Generalstaatsanwalt Buchholz an das Hamburger Schöffengericht, das in einem in ganz Deutschland Aufsehen erregenden Prozeß den Schriftsfeiler Erich Kuby und den Sendeleiter des Nordwestdeutschen Rundfunks, Rüdiger Proske, von der Anklage freisprach, den ehemaligen Fallschirmjägergeneral Bernhard Ramcke mit dem 1954 gesendeten Hörspiel „Nur noch rauchende Trümmer — das Ende der Festung Brest" beleidigt zu haben. Für diesen Prozeß hatte der Exgeneral Ramcke eine stattliche Reihe von Offizieren und Fallschirmjägern auf- geboten, um nachzuweisen, daß er nicht aus Sehnsucht nach den „Brillanten" die Festung

Brest sinnlos lange zu halfen versucht und nicht aus Feigheit sich selbst aus der Festung abgesetzt hätte. Interessant war, daß der Staatsanwalt Koch, im Kriege selbst ein mehrfach ausgezeichneter Offizier, gegen den Kläger Stellung nahm. In diesem Prozeß ging es um mehr als um die Causa Ramcke gegen Kuby: hier fand eine Auseinandersetzung des zivilen Geistes mit einem gewissen Militarismus statt. Die Weimarer Republik ging unter, weil sich ihre führenden Richter in Prozessen dieser Art auf die Seite der Militaristen und der Reaktion schlugen. Das heutige Westdeutschland zeigt durch diesen Prozeß, daß es sich der Gefahr bewußt ist, die von dieser Seife her droht. So ist der Ausgang dieses Prozesses ein positives Symptom: wenn der zivile Geist der Einschüchterung durch den Militarismus erliegt, ist bereits mehr als die halbe Freiheit des Staatsbürgers verloren.

ARGE UNFREUNDLICHKEITEN, kalfe Duschen, freundliche Worte am Anfang und am Ende: so könnte ein Wetterbericht das kalte Klima des englischen Experiments in Moskau charakterisieren. Beide Partner, Macmillan und Chruschtschow, haben einarider sehr deutlich die Meinung gesagt. Daß dies westlicherseits nicht unnütz ist, mag vielleicht schon die erste Reaktion Moskaus beweisen. Chruschtschow hat sich, sehr zum Erstaunen der Machthaber in Pankow, in Berlin und bei der Leipziger Messe zu Besuch angesagt. Zwei Momente dürften für diesen raschen Entschluß in Moskau bedeutsam sein: die durch Macmillan und Außenminister Lloyd unterstrichene feste Haltung des Westens im Fall Berlin, und dementsprechend Chruschtschows Wunsch, die DDR zu stärken, ihre Herren aber gleichzeitig vor „Dummheiten” zu- rückzuhalfen. Die Presse der Ostzone ist in eben diesen Tagen sichtlich zurückhaltender, ja höflicher an die Adresse der Amerikaner und Engländer geworden. Ja, man spricht doch noch von einer möglichen Zustimmung Moskaus zu einer Außenministerkonferenz, da nach Eisen- howers scharfer Reaktion eine Welt-Spitzen- Konferenz gegenwärtig nicht zu erhalten isf. Bis zum 27. Mai, dem russischerseits genannten Termin für Berlin, sind noch zweieinhalb Monate Zeit. Moskau wird alles tun, um bis dahin seinen Champion fit zu machen: ihm zumindest in der außerwestlichen Welt an Ansehen zu verschaffen. Was nicht ganz leicht isf. Titos und Nassers gemeinsame .Mahnungen, ihre Warnung vor dem kalfen und heißen Krieg, werden, das können wir sicher sein, in Moskau und Ost-Berlin sehr gut gehört.

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