6756393-1967_48_03.jpg
Digital In Arbeit

Rede an die Jugend

Werbung
Werbung
Werbung

„Welt im Wandel — Herausforderung der Jugend“ heißt das Leitwort Ihrer Tagung. Welt im Wandel — ist das etwas Besonderes? Ist das eine neue Erkenntnis? War die Welt nicht immer im Wandel? Wie reagiert der Mensch auf diesen Wandel, wie reagiert vor allem die Jugend darauf? Nimmt sie diesen Wandel wahr, und wie nimmt sie ihn wahr? Als etwas Selbstverständliches, als etwas Gegebenes oder als eine Herausforderung, als einen Anruf, als eine Provokation, als Challenge, um das moderne Wort zu gebrauchen, dem man sich stellen muß, dem man ausweichen kann, dem man sich aber nicht bloß anpassen darf, sondern das es aufzunehmen, zu verarbeiten und zu bewältigen gibt. Ist der Wandel der Welt, den wir heute erleben, ein besonderer Wandel, dann muß auch die Herausforderung der Jugend eine Herausforderung besonderer Art sein.

Läßt sich die Jugend überhaupt noch herausfordern, oder will sie nur ihren Spaß daran haben, den Bürger zu erschrecken? Ihn moralisch zu provozieren gelingt ja nicht mehr, der Stoß geht weit ins Leere. Man sitzt zu Hause vor dem Fernsehschirm und läßt sich über die Techniken der freien Liebe berichten. Sie meinen es ja gar nicht ernst, sagte ein Kommentator. Weil wir sie nicht ernst nehmen und wir uns selbst auch nicht. Erlaubt ist, was gefällt und was Spaß macht. Der Teufel scheint ein großer Spaßmacher zu sein.

Vernichtung oder Manipulation

Der Abbau moralischer Bindungen, die Leugnung einer höheren überweltlichen Ordnung, jener Ordnung, die selbst in die menschlich* Natur hineingeschrieben ist, von wo das menschliche Recht erst Sinn und Autorität empfängt, hat zu zwei großen Gefahren für die Menschheit geführt:

• zur Möglichkeit einer totalen Vernichtung unserer Welt durch die nuklearen Waffen und

• zur Möglichkeit der Zerstörung des Menschen durch biologische Experimente.

Es nützt uns nichts, wenn wir vor beidem die Augen verschließen. Es ist schwer zu sagen, was das Schrecklichere ist, die plötzliche Vernichtung oder die restlose Manipulation des Menschen. Auch das kommt nicht von ungefähr. Wir alle haben Huxleys Roman von der „brave new ■world“, von der tapferen neuen Welt gelesen. Fürwahr, eine tapfere Welt, in der Menschen gezüchtet werden wie Schweine oder wie Kürbisse. Wenn die Achtung vor dem Menschen fällt, wenn ich in einem Menschen nicht mehr das Ebenbild Gottes sehe, wenn das Gesetz der Bergpredigt von der Gottes- und Nächstenliebe nicht mehr zur Kenntnis genommen wird, wenn der Mensch nur ein biologisches Wesen ist wie jedes andere, was hindert mich daran, mit ihm ebenso zu experimentieren wie mit Mäusen. Mit dem Menschen kann man alles machen, wenn man ihm seine Menschenwürde raubt, wenn man ihn aus der höheren Ordnung reißt, in der er steht. Es ist fürwahr ein düsteres Bild, eine Art Krankengeschichte der Welt. Ist die Welt krank oder ist unsere Gesellschaft krank? Die amerikanische Zeitschrift „U. S. News and World Re-

port“ bringt am 28. August dieses Jahres einen Bericht über Krankheitserscheinungen der menschlichen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten. Es ist nicht die materielle Not, die die Krankheit verursacht. Niemals gab es soviel Wohlstand und soviel Reichtum in Amerika. Niemals gab es aber auch mehr Verbrechen, mehr Brutalität, mehr Unruhe, mehr Ausschreitungen, mehr Rauschgiftskandale, und niemals hatte man stärker das Gefühl der

Sinnlosigkeit und der Ausweglosigkeit, in der sich die amerikanische Gesellschaft heute befindet.

Onkel Staat und Xante Kirche

Wie aber steht es mit der Herausforderung der Jugend? Wie reagiert sie auf diesen Wandel der Welt in materieller und geistiger Hinsicht? Wie nimmt sie den technischen Wandel der Welt mit seinen faszinierenden Möglichkeiten als die Grundlage ihres eigenen Lebens — oder revoltiert sie dagegen, wie Jugend immer gegen die Welt ihrer Eltern revoltierte? — „Trau keinem über 30 Jahre“, das ist der Schlachtruf der amerikanischen Hippies, die ihre Übersättigung an der Welt der Älteren durch spektakuläre Proteste Luft machen wollen und deren gefilterte und gemilderte Ableger auch bei uns ein wenig Spektakel machen mit extravaganten, mit exhibitionistischen Provokationen — womit sie Väter und Mütter, Onkel und Tanten, einschließlich Onkel Staat und Tante Kirche erschrecken wollen. So etwas hat es immer gegeben, so etwas wird es immer geben, und dergleichen wird sich immer wieder legen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung