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Simultane Wirklichkeit

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Sehr öft im zweidimensionalen Plakatstil, nur ganz selten iht Psychologische hinein vertieft, zeichnet Hedda Zinner in einem Schauspiel „Teufels- kreis’’ die Vorgänge und Hintergründe des Reichs- tägsBrandpozesses von 1933. Die Ost-Berliner Volks- bühne gastiert mit ihrer, von Fritz Wisten besorgten, betont schlichten und hart konturierten Inszenierung an der Scala. Zug um Zug entsteht das immer näher rückende und Gestalt annehmende Bild der Monate der nazistischen Machtergreifung. Sehr bald aber fesseln den Zuschauer von heute nicht mehr die individuellen Vertreter des Terrors, der Kollaboration und des Widerstandes. Das Getriebe selbst wird sichtbar, das Typische der Verhaltensweise tritt vor ‘Hem dann erschreckend gegenwärtig nahe, wenn es ‘0l’ menschlichen Schicksal aus, sozusagen privat ayigesp jt wird. In diesem Zusammenhang wird etwa die Szene tes von Gewissensnot und Selbstekel gepeinigten buv,erüci1.jeutscilen Kollaboranten, des Senatspräs.idente,. Dr Bünger, im Gespräch mit seinem konservativen Freu,d Öberfohren der eigentliche Höhepunkt der bewenden inneren Auseinandersetzung. (Werner Peters spielt den Richter mit intelligenter Durchdringung auch der unscheinbarsten Einzelheiten.) Gerade in solchen Szenen aber zwingt sich hinter der Bühnenwrklichkeit eine andere, simultane Wirklichkeit auf, qje des neuen Totalitarismus. Vor seinen Gerichten stehen heute aber keine agitierenden Dimitroffs’ mehr, seine Angeklagten .stehen wie graue Schatten hinter dem Wrack van der Lubbe (meisterhaft, charakterisiert von Edwin Marian). Und nur wer bereit ist, auch diese Wirk-

lichkeit, in der der Sozialdemokrat Lühring (von Franz Kutschera glaubhaft verkörpert) genau so vor den Schauprozeßschranken desselben Leipzig stehen könnte, ins Blickfeld zu nehmen, kann das völlig überzeugende Wort des Urteils sprechen. Die Zentralgestalt Dimitroff, für viele auch nichtkommunistische Gegner des braunen Terrors damals eine Stimme der Freiheit und des Gewissens, entschwindet nach der fulminanten Schlußrede (Jochen Brockmann hätte seinen Erfolg auch durch ein weniger äußerliches slawisches Idiom erzielt) im Scheinwerferlicht des Triumphes. Taucht aber nicht auch hinter seiner Gestalt der Nebel eines rätselhaften Todes auf, der eben jenen Freiheitskämpfer just in dem Augenblick ereilte, da er konseauent eitrene. revolutionäre Ge- HKHI grgenwBer der allgewaltigen statistischen Autorität vertrat? Was also bleibt, ist nicht mehr der Kommunismus, was bleibt ist die Anklage gegen jeden Terror. Die Gerichtssitzung ist nicht geschlossen, wenn der Vorhang fällt. Wer weiß, in welchen Schränken Dimitroff heute noch immer. — schon wieder stehen müßte!

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