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Treffpunkt New York

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Wer hätte dies vor wenigen Monaten, nach dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz vorauszusagen gewagt, ohne sich nicht lächerlich zu machen? Das nämlich, was jetzt, in diesen schönen Herbsttagen 1960, im Gange ist: zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Da fahren, fliegen, reisen sie nämlich nach New York: Chruschtschow und die Parteisekretäre von fünf östlichen Staaten, mit Volldampf auf dem Schiff „Baltika“, das einst „Molotow“ hieß. Molotow selbst sitzt ruhig in Wien. Nach New York fahren Nehru und Sukarno, Tito und Nasser, Nkrumah und eine ganze Reihe anderer Repräsentanten außereuropäischer Staaten. Kaum hat sich Nixon von seinem Krankenbett erhoben, empfiehlt auch er schon seinem Präsidenten, Eisenhower, mit Chruschtschow zusammenzukommen, um über die Abrüstung zu sprechen. De Gaulle läßt ein Sich-Sträuben verlauten, blickt gleichzeitig nach Bonn. Macmillan will, so heißt es, nur kommen, wenn Eisenhower es wünscht... Inzwischen haben die „New York Times“ die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des sowjetischen Ministerpräsidenten in New York sehr begrüßt, gleichzeitig aber anderen kommunistischen Führern empfohlen, möglichst viel von den USA kennenzulernen. „Wir wollen beispielsweise hoffen, daß Staatspräsident Tito aus Jugoslawien und Wladyslaw Gomulka aus Polen so weit wie möglich aus New York hinausfahren. Es kann für sie und andere Führer der Welt, mit denen wir nicht übereinstimmen, jedoch freundschaftliche Beziehungen unterhalten, nur nützlich sein, einen persönlichen Einblick in die Realitäten der Vereinigten Staaten zu gewinnen.“

Das ist wohl deutlich genug I Wenn nahezu alle „Führer“ der anderen Sphären und der nichtweißen Völker sich in New York ein Stelldichein geben, dann müssen sich die Männer des Westens stellen. Wenn Chruschtschow in der UNO spricht, muß de facto Eisenhower auch sprechen, zumindest zu sprechen sein. Der feucht-fröhliche, energische, harte und unberechenbare sowjetische Staatschef erzwingt ein Treffen, nachdem er in Paris sich der Aussprache nicht stellte. Über der Vollversammlung der UNO in New York werden viele Schatten liegen, und nicht nur das in Paris zerbrochene Porzellan wird auf dem Parkett sichtbar werden. Den größten Schatten wirft der stärkste Nichtanwesende: Mao Tse-tung. Schatten aus Afrika, aus Ost-Berlin, aus Kuba und Südamerika, dazu die nicht übersehbaren Schatten des amerikanischen Wahlkampfes, die Regierung und Opposition in den Vereinigten Staaten zu äußerster Vorsicht im Umgang mit der gefährlichen Prominenz der bunten Gäste zwingen.

Die Welt ist in Bewegung. Gerade die im Vordergrund stehenden auffallendsten und aufreizendsten „Beweger“. Mao einerseits, Chruschtschow anderseits, können jedoch nicht mehr übersehen, wie sehr vielen Völkern und Staatsführern diese „Bewegung“ auf die Nerven geht: Nehru, Tito und manch anderer Mann, der nicht zur weißen westlichen Couleur zählt, werden den mobilen „Bossen“ einiges zu sagen haben. New York ist für den Westen nicht nur eine Verlegenheit, sondern auch eine Chance: genau so, wie es für die Männer aus Afrika und dem Osten gleichermaßen eine Chance, wie eine Gefahr ist. Alle Wege fuhren jetzt nach New York: und vieles ist dort möglich, was gestern noch kaum die Horizonte der Furcht und Hoffnung überschritten hat, um ins Licht des Tages zu treten Nicht auf Worte wartet die Welt in bfev/ York sondern auf ein Verhandeln und Handeln. Wer aber bringt dazu die Vollmacht mit?

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