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WALTER LIPPMANN / EIN GROSSER DER FEDER

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Während Nikita Chruschtschow, je nach Laune kratzbürstig oder jovial, polternd oder dozierend, die USA durchquerte, veranstalteten die amerikanischen Presseleute in Washington int National Press Club eine würdige Geburtstagsfeier. Sie galt einem jugendlich wirkenden Siebziger, der seit seinen Studentenjahren in Havard das geistige und politische Leben Amerikas in hohem Maße beeinflußte und eine der bedeutendsten Figuren des heutigen US-Journalismus ist: Walter Lippmann.

Der berühmte Columnist war jedoch nicht allein Gegenstand der Ehrungen. Man würdigte zugleich auch seinen journalistischen Stil. Denn wohl als einziger nordamerikanischer Publizist verfügt er über eine „Clarti latine“ des Stils und der Darstellung, die das Lesen seiner stets Dienstag und Donnerstag in der „New York Herald Tribüne“ erscheinenden Artikel zu einem intellektuellem Genuß macht. Seine sehr persönlich gefärbten politischen Columns eine spezifisch amerikanische Form der Leitartikel, die oft zugleich in hunderten Plättern erscheinen, die dem Artikelsyndikat dieses Blattes angeschlossen sind sind kristallklar und nüchtern, anspruchsvoll, eigenwillig und logisch glänzend durchdacht. Die kompliziertesten internationalen Fragen entwirrt Lippmann innerhalb weniger Sätze, so daß man ihn den „großen Erläuteret“ genannt hat. Man schätzt seine Lesergemeinde auf zehn Millionen. Als junger Mensch und bis in die dreißiger Jahre stand er, wie es-für die amerikanischen Intellektuellen gang und gäbe war, links. Während kurzer Zeit war der am 21. September 1889 in New York als Sohn deutsch-jüdischer Eltern geborene Berater des sozialistischen Bürgermeisters von Schenectady New York gewesen, wandte sich aber bald von der praktischen Politik ab und dem Journalismus zu. 1917 beauftragte ihn Oberst House, Präsident Wilsons rechte Hand, mit der Bearbeitung von Unterlagen für die Versailler Friedenskonferenz. Die Formulierung der bekannten und in ihrer Folge für Europa so schicksalsschweren „14 Punkte“ fußt zum Teil auf Lippmanns Mitarbeit. 1923 wurde er Chefredakteur der „New York World“ und behielt diese Stellung bis 1931. Seit dieser Zeit trat er als Mitarbeiter der „New York Herald Tribüne“ hervor.

Er war oft für die Regierungspolitik und oft gegen sie und er hat manchmal unrecht gehabt. Aber er hat sich dabei nie von Sensationen und Schlagzeilen beeindrucken lassen, sondern sich immer bemüht, in seinen Aufsätzen die große historische Entwicklung aufzuzeigen.

Auch über den Chruschtschow-Besuch in Amerika hat Lippmann Gültiges zu sagen. So ist er zum Beispiel nicht der Ansicht, daß die verschiedenen Zwischenfälle während des Besuches Einfluß auf die Gespräche zwischen dem sowjetischen Ministerpräsidenten und Eisenhower hatten, er stimmt auch nicht mit jenen überein, die der Ansicht sind, daß Chruschtschow in Amerika nichts lernen wollte, oder umgekehrt glaubten, daß ihn der Amerikabesuch „bekehren“ hätte können, Lippmann sieht über die unbedeutenden Details der Reise hinweg und beschäftigt sich nur mit ihrem tieferen Zweck: einen Krieg zu vermeiden.

Das schönste Geburtstagsgeschenk war für ihn, daß sich einige der namhaftesten Berufskollegen Leitartikler der „New York Times“, der „New York Herald Tribüne“, der Londoner „Times“ und des Pariser „Figaro“ mit Philosophen und Historikern zu gemeinsamer Arbeit fanden, um ein Buch über ihn zu schreiben.

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