Unsichtbares im Sichtbaren

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Bernhard Groms "Menschen- und Weltbilder moderner Malerei" hilft, Unsichtbares zu entdecken.

Vor bald hundert Jahren, am 15. April 1904, schrieb Paul Cézanne in einer Erklärung seiner Landschaftsmalerei recht unvermittelt vom "Schauspiel, das der Pater omnipotens, aeterne Deus vor unsern Augen ausbreitet." Die wortgetreu aus der Präfation der lateinischen Messe übernommene Anrede Gottes wird von den Kunsthistorikern so gut wie nie erklärt, sehr oft sogar ausgeklammert, wenn dieser wahrscheinlich wichtigste Brief Cézannes zitiert wird.

Das von Bernhard Grom angeführte Beispiel illustriert anschaulich den Ansatz der vorliegenden Publikation: In Hinblick auf Religion, Spiritualität und Transzendenz ist bei der Zunft der Kunsthistoriker oft eine merkwürdige Berührungsangst festzustellen. Dort, wo mehr als ästhetische, ikonografische und handwerkliche-formale Fragen gestellt werden, fühlt sie sich auf unsicherem Gelände. Doch wann, wenn nicht in der Moderne, war die Kunst "so verzweifelt befasst mit dem Notwendigsten, der Sinngebung unserer Existenz, wann stand sie je so sehr im Zeichen von Spiritualität und Transzendenz? Und zwar nicht irgendwo, [...] sondern in den Werken ihrer wichtigsten Künstler" (Wieland Schmied).

Bei fünfzehn Malern, die alle schon zur "klassischen Moderne" gehören, geht Bernhard Grom der transzendentalen bzw. religiösen Dimension nach - oder deren proklamierter Ablehnung. Er tut dies nicht in vagen Vermutungen, sondern belegt seine Befunde mit Verweisen auf Selbstzeugnisse und auf wesentliche Werke. Da die meisten Essays aus Radiosendungen entstanden sind, sind sie für interessierte Leser gut verständlich und meiden den Insider-Jargon des Experten.

Der Hintergrund, vor dem Bernhard Grom, der Münchener Jesuit und Universitätslehrer für Religionspsychologie, diese weltanschaulichen Künstlerprofile entwirft, ist seine langjährige und eingehende Beschäftigung mit Spiritualität außerhalb des kirchlichen Christentums. So ist von den besprochenen Malern außer Georges Rouault (und vielleicht noch dem späten Paul Cézanne) eigentlich keiner einer Kirche zuzurechnen. Hingegen belegen den wichtigen Einfluss von Theosophie und Anthroposophie auf die bildende Kunst gleich vier unterschiedliche Pioniere der Moderne: Max Beckmann, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Joseph Beuys.

Auch Emil Noldes Bibelfrömmigkeit und Sehnsuchtsreligiosität ist außerhalb der Kirche geblieben, so wie Marc Chagall und Barnett Newman mit ihrer jüdischen Bildmystik außerhalb der Synagoge. Respektvoll und einfühlsam behandelt Grom Alfred Hrdlickas Marxismus, die mitunter blasphemisch schillernden Surrealisten Salvador Dalí und Max Ernst. Letzterer gehört mit Pablo Picasso und dem verstörend-faszinierenden Francis Bacon zu den erklärten Religions- und Kirchengegnern, deren nihilistisches Welt- und Menschenbild nur selten den Blick auf das Transzendente freigibt.

Auch wer den einen oder anderen Maler gut zu kennen glaubt, wird nach dieser Lektüre mit neuer Aufmerksamkeit Unsichtbares im Sichtbaren der Bilder - auch im Ästhetischen! - entdecken. Wenigstens als Erinnerungshilfe hätte man sich die eine oder andere wichtige Illustrationen gewünscht, aber vielleicht findet sich noch ein Verlag, der das inhaltlich wertvolle Buch auch in ein ansprechendes Gewand hüllt.

Menschen- und Weltbilder moderner Malerei

Von Bernhard Grom

Books on Demand, Norderstedt 2003, 213 Seiten, brosch., e 12,80

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