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Vom Schweigen Gottes

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HOMO VIATOR. Moderne christliche Erzählungen, 3. Band. Jakob-Heener-Verlae. Köln und Olten, 1966. 463 Selten, Preis 19.80 DM.

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HOMO VIATOR. Moderne christliche Erzählungen, 3. Band. Jakob-Heener-Verlae. Köln und Olten, 1966. 463 Selten, Preis 19.80 DM.

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Was ist christlichen Autoren des deutschsprachigen Raumes, die alle der älteren und der mittleren Generation angehören (die älteste — Gertrud von Le Fort — 1876 geboren, der jüngste — Heinrich Böll — 1917), gemeinsam? Der zweite Sammelband (der erste vereinigte ausländische Dichter) der Reihe „Homo Viator“ stellt die verschiedenartigsten Erzählungen nebeneinander. Vom Umfang und dem Niveau einer guten Kalendergeschichte (etwa Willy Kampe, „Was ein Mensch wert ist“) reicht der Bogen bis zu der geschichtstheologischen Gegenüberstellung des heimtük- kischen und machthungrigen Ludwig XI. von Frankreich mit dem heiligen Asketen Franz von Paula in Reinhold Schneiders strenger Novelle „Der Tod des Mächtigen“; neben Felix Hartlaubs realistisch gemeinter Geschichte „Kinderkreuzzug“, der es ungefähr an allem (historischen und geographischen Kenntnissen, Spiritualität, Erzähltechnik, Stil) fehlt, bemüht sich Edzard Schapens redliche Studie um Gerechtigkeit und Wahrheit am Beispiel eines zwischen orthodoxem Judentum und dem frühen Urchristentum stehenden Rabbi; Joh. Bo- browskis lyrisch alle Konturen und Gestalten auflösender Stil der Schlußbetrachtung „Die Seligkeit der Heiden“, in der der Verfasser den alten slawischen Donnergott Perun quasi in den Himmel auffah- ren läßt, kontrastiert mit seines Jahrgängers Heinrich Böll Beobachtungsschärfe und beißendem Hohn in der bekannten Satire „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, und die tiefe Menschlichkeit, mit der in Albrecht Goes’ „Brandopfeir“ die Metzgersfrau für die Verbrechen an den Juden sühnt, hebt sich vorteilhaft von dem zwar begreiflichen, aber im einzelnen auch ungerechten und schablonenhaften Zorn ab, mit dem Franz Werfel „Die wahre Geschichte vom wiederhergesteliten Kreuz“ erzählt.

Wenn der Hang zur Tradition und zur Moderne, die Art des Berichtens und Erzählens, die ausgewäblten Stoffe, die Absicht und Eigenart und vor allem der literarische Rang der Verfasser dermaßen verschieden sind — worin besteht denn „das Christliche“ der ausgewählten Erzählungen, wenn man einmal von dem offiziellen Bekenntnis der Autoren absieht? Heinz Beckmanns kluges Nachwort sieht es darin, daß „das Bilderverbot in großen Lettern über ihnen hängt“, das heißt, daß das Schweigen über das dunkle Rätsel Gott in ihnen waltet. Das trifft gewiß für einen guten Teil der Erzählungen zu, obwohl es daneben auch durchaus nicht an empfunden- ster Gottesgewißheit — freilich von durchaus beunruhigender Art — fehlt. Jedenfalls muß aber mit Sorgfalt unterschieden werden zwischen der „Wüste der nackenden Gottheit“ der mystischen Jungfrau von Barby ln Gertrud von Le Forts schöner gleichnamiger Novelle, der lieblosen Gerechtigkeit des Großinquisitors in Stefan Andres’ „El Greco malt den Großinquisitor“ oder gar dem faktischen Atheismus des modernen Schönschwätzers Bur-Malottke in Bölls „Dr. Murke“. Denn während für die Jungfrau von Barby „Gott der Seele Seligkeit bleibt, auch wenn er ihr entschwindet“ und der Großinquisitor doch „ein Heiliger um seiner Schwermut willen“ ist, wirken selbst die stummen Tonbandschnitzel Murkes unvergleichlich wahrer und gottnäher als des Professors Phrasen von „jenem höheren Wesen, das wir verehren“.

Neben der „Abwesenheit Gottes“ beherrscht die Frage nach der Schuld des Menschen die Sammlung — sie bildet in elf von den 19 Erzählungen das unmittelbare Hauptthema, wiederholt eng verbunden mit der Judenfrage. Die Schuld begegnet als harte Selbstgerechtigkeit eingebildete Gattessicherhaiit (so bei Heinz Risse in der ziemlich schwerfälligen und redseligen, historisch wenig überzeugenden Geschichte aus der Hexenzeit „Dein Bruder Hiob“); in den Verwirrungen des Blutes (in Luise Rinsers „Jan Lobei aus Warschau“ und in der Antike, Heidentum und modernes Christentum in der ihr eigenen, vitalen Art verbindenden Geschichte Elisabeth Langgässer,s „Der gerettete Obolus“); in der falschen Liebe des Mitleids, die die Schuld allzu schnell und ohne Sühne vergeben will und damit deren innere Bewältigung verhindert (Joh. Urzidil, „Ein alter Brief“), in der politischen Berechnung und der haßerfüllten Vernichtung der Feinde (Reinhold Schneider, „Der Tod des Mächtigen“) oder in dem fanatischen Sichversperren gegen Christi Güte und Verzeihung (Schapen, „Söhne des Hiob“). Allenthalben wird aber die Schuld überwunden durch das demütige Tragen des Leids („Die Sühne, die über einen Menschen verhängt wird, sollte er immer auf sein ganzes Wesen beziehen, nicht auf die einzelne Tat“, Urzidil), durch das Opfer des Gerechten und Unschuldigen für den Sünder (Schneider, Werfel, Kaschnitz), letzten Endes aber immer in jenem „geängsteten Geist und zerschlagenen Herzen“, die allein jenem gefallen, der „hier aufrechnen könnte“ (Goes) und der „allein weiß um die nächtliche Tiefe der Schuld“ (Schaper).

Der Sammelband bietet eine er freuliche Gelegenheit zu stilistischen und gehaltlichen Vergleichen und Wertungen. Geübte Leser werden über die Freude an einem Gutteil der vorgelegten Erzählungen hinaus gerne die Brauchbarkeit ihrer Maßstäbe proben, literarisches und gedankliches Können und Unvermögen zu untersuchen. Zugleich wird jedoch im Hintergrund dieser Sammlung sichtbar, daß die großen Leistungen der christlichen Erneuerungsbewegung in der Literatur wahrscheinlich bereits hinter uns liegen, vieles wohl inzwischen in die kirchliche Ernte eingegangen, die literarische Kraft aber vorerst eher gelähmt erscheint. Albert

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