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Wahlredner im Fernsehen

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Die Wiener Wahlen und die für den Nationalrat rücken näher und man kann annehmen, daß sie stärkeren Niederschlag im Fernsehen finden werden als zuvor. Die Meinungsforscher stellen fest, daß das Publikum nichts mehr von Wahlplakaten und Postwurfsendungen und den damit verbundenen Waschmittelreklamemethoden wissen will. Außerdem hat es schon immer die damit verbundenen Ausgaben übelgenommen („Dafür haben's a Geld'.“) und die Parteien werden selbst immer mehr dahin gedrängt, die Wahlpropaganda weniger mechanisch und auf echte Überzeugung einzurichten. Wählerversammlungen — in der Zwischenkriegszeit noch von riesigen Menschenmassen besucht — füllen heute nur noch kleine Gasthaus- und Bezirksorganisationssäle. Dies nicht nur, weil man sich über Politik heute weniger als damals alteriert, sondern auch, weil man sich daran gewöhnt hat, das politische Leben durch Hörfunk und Fernsehen ins Haus zugestellt zu erhalten. Mit dem Fernsehen ist jedoch eine neue Problematik für die Wahlwerber entstanden. Ihr erstes Problem besteht darin, daß nur eine beschränkte Zahl der vorhandenen Politiker fürs Fernsehen geeignet, „telegen“, ist. Bekannt ist das Beispiel, wie Nixon (an sich gar nicht schlecht aussehend) die Präsidentschaftswahl gegen Kennedy durch die Konfrontation im Fernsehen verlor. Ebenso wird erklärt, daß die Labour Party die Konservativen deshalb besiegte, weil sie Kandidaten eines Typs und Aussehens im Fernsehen auftreten ließ, die an das Bedürfnis der Bevölkerung nach Modernität und intelligenter Informiertheit stärker appellierten. Hierzu kommt die besondere, entlarvende Fähigkeit der Fernsehkamera, jede physische Schwäche, jede Unsicherheit, Verkrampftheit und Vnechtheit bei einem Redner aufzuzeigen. Hitler wäre in der Ära des Fernsehens wahrscheinlich nie groß geworden. Der größte Fehler, den die Wahlkapitäne der Parteien nun begehen könnten, wäre die Auswahl der Redner von den Standards bestimmen zu lassen, die das Fernsehen, insbesondere das der Firmenreklamen und der Variety Shows, entwickelt hat. Sie könnten nichts Falscheres tun, als uns nun lauter politische Udo Jürgens und andere Beaus zu präsentieren. Von einem politischen Redner im Fernsehen wird erwartet: Einfachheit und Gelöstheit (nicht zu verwechseln mit Hemdärmeligkeit!), Aufrichtigkeit und echte Überzeugtheit. Doch auch das von ihm vorgebrachte Anliegen ist vor der Kamera einer weit schwereren Prüfung ausgesetzt als sonstwo; es kann nicht durch die beredteste Suada „verkauft“ werden, wenn es ihm an echten Gehalt und Anspruch mangelt. Mancher Politiker dürfte selber nicht wissen, ob er, und was er vorbringt, diese Eigenschaften besitzt.Mancher wird darauf bestehen, sie zu besitzen. Wer in seiner Partei wird befähigt und legitimiert sein, darüber zu befinden? Mancher von ihnen hotte im Laufe der Zeiten Gelegenheit, Wiedergaben seines Auftretens im Fernsehen bei Interviews, Diskussionen und bei den Übertragungen aus dem Parlament zu sehen und dabei selber den von ihm hervorgerufenen Eindruck wahrzunehmen. Doch nicht alles, was man an und über sich erfährt, ist auch schon eine Wahr nehmung. Die einen täuschen sich über die Wahrheit hinweg, und die anderen lassen sich von ihr niederschlagen. Hier sind eine Reihe gutgemeinter Ratschläge für prospektive Redner im Fernsehen:

• Er möge sich nicht durch die Nervosität, welche die Fernsehleute mit dem technischen Drum und Dran einer Sendung generieren, anstecken lassen. Ihre Aufgabe ist es, mit dem Technischen fertig zu werden — die seine, was er zu sagen hat, vorzubringen, sonst nichts.

• Eine Ansprache im Fernsehen ist keine Rede vor einer Massenversammlung. Auch wenn die Zahl der Fernseher in die Hunderttausende geht, steht der Redner ihnen als einzelnen oder Familien gegenüber. In solchem kleinen Kreis ist großes Pathos fehl am Platz, auch wenn es nicht an Eindringlichkeit mangeln soll.

• Ebenso pflegt man unter Freunden oder in der Familie nicht seinen Standpunkt von einem Manuskript abzulesen — jedoch auch nicht von dem vom Fernseher nur scheinbar nicht wahrgenommenen rollenden Schriftband. Auch wenn man es nicht sieht, spürt man sein Vorhandensein — wenn nicht anders, so durch den gewissen stieren Blick des Ablesers. Ein zeitweiliges Stocken und Suchen nach einem geeigneten Wort, ja auch ein Blick auf die Notizen nach dem Schlagwort für die nächste Redepassage, wirken immer noch überzeugender als jede falsche, „abgelesene“ Flüssigkeit.

Das Fernsehen ist ein großartiges Mittel zur Gewinnung von Seelen. Vorausgesetzt, daß man die eigene dabei ganz und ungebrochen mitbringt.

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