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Warum nicht in Österreich?

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Barockkirchen zwischen Donau und Alpen. Von Norbert Lieb. Aufnahmen von Max Hirmer. Hirmer-Verlag, München. 176 Seiten und 172 ganzseitige Bildtafeln. 46 Abbildungen im Text.

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Barockkirchen zwischen Donau und Alpen. Von Norbert Lieb. Aufnahmen von Max Hirmer. Hirmer-Verlag, München. 176 Seiten und 172 ganzseitige Bildtafeln. 46 Abbildungen im Text.

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Preis 35 DM

Mit höchster geistiger Reife und äußerster Konzentration hat Norbert Lieb auf Grund umfangreicher Vorarbeiten über bayrische und schwäbische Baukunst des Barock und Rokoko die von warmer Einfühlung persönlich gefärbte abschließende Darstellung des Wesentlichen und Schönsten gegeben, das diese Blütezeit sakralen Kunstschaffens uns als beglückendes Kunsterbe Unterlassen hat. Von den nach 1700 entstandenen Riesenbauten, wie Weingarten und den als theatrum sacrum komponierten weihevollen Raumschöpfungen der Asam, spannt sich die Darstellung dieses wahrhaft vollendeten Buches in gewaltigem Bogeh bis zu den genialen Raumträumen J. M. Fischers und zu den Wallfahrtskirchen, wie Steinhausen, Birnau, und dem Modeschäustück in der Wies. Der klar durchdachte, sprachlich durchziselierte Text schenkt uns das Gegenteil dessen, was uns in den letzten Jahren allzuoft als modernste Kunstwissenschaft serviert worden ist: Lieb schildert höchst anschaulich die erlauchte Reihe bayrisch-schwäbischer Barockkirchenbauten mit ihren soziologischen, kunst- und künstlergeschichtlichen Bindungen und Bedingtheiten als die schönsten und letzten Blüten einer langen, glanzvollen abendländischen Kunstentfaltung; er versucht aber nicht, diese Bauten aus sich selbst heraus zu interpretieren, sie aus ihrer geschichtlichen Umwelt in die Luftleere der Abstraktion zu entrücken. Liebs Buch läßt die Baroekkirchen als gottesdienstliche Schöpfungen, als Produkte der komplexen Geistigkeit des 18. Jahrhunderts, als Ausdruck der seelischen Hochspannung eines ganzen andachtsvollen Volkes verstehen, die „weder für das .bloße Nachdenken noch für die leere Lust" (Hölderlin) geschaffen wurden und weit mehr als Objekte kaltherziger Formanalysen sind.

Der wohlgegliedcrte Text bietet ferner mit seinen fesselnden „bau- und künstlergeschichtlichen Belegen" und dem ausgezeichneten Kapitel über „Ausstattung der Kirchen" an Hand neuer Forschungsergebnisse das Material zu wahrer Vertiefung in ein Reich vergeistigter Schönheit, Der umfangreiche Bildteil mit den vom Verleger Max Hirmer mit künstlerischer Einfühlung und technischer Meisterschaft aufgenommenen und unver gleichlich gut wiedergegebenen Tafeln gibt eine überwältigende Schau in dieses Paradies baulicher Größe. Es ist eine Freude, die Disposition der Bilder, die sinngemäße Wahl von Standpunkt, Lichteinfail und Bildausschnitt zu überblicken; nirgends begegnen uns gesuchte, entstellende Verzerrungen und technische Künsteleien.

Dieses Standardwerk kam durch verständnisvolle Zusammenarbeit zwischen Verfasser und Verlag zustande. Richtig gesehen, könnte es den Verlagen nützliche Lehren geben; denn es beweist durch seinen Wert und buchhändlerischen Erfolg eindeutig, daß das blinde Streben nach falsch verstandener „Popularität", das als Nachkriegspsychose die Planungen der Verlage und Bildungsinstitute beherrscht und zahlreiche wertvolle Arbeiten am Erscheinen verhindert hat oder sie bloß in popularisierter Verwässerung herauskommen ließ, sich nun.endlich überlebt hat. Zumindest in Deutschland erscheinen wieder kunstgeschichtliche Bücher, die nicht mehr für die geistig Mindestbemittelten geschrieben sind und gerade deshalb Erfolg haben, weil sie jedermann, der sich ernsthaft in Text und Bild vertieft, bereichern.

Uns Oesterreicher aber sollte Liebs und Hir- mers Leistung zum Nachdenken veranlassen. Wir können den in diesem herrlichen Buche veröffentlichten deutschen Kirchenbauten aus dem architektonischen Reichtume des österreichischen Barocks eine durchaus ebenbürtige Reihe von Werken gegenüberstellen: Von Klosterneuburg und Melk über St. Florian und Salzburg bis nach Innsbruck und Stams. Wird es einmal möglich werden, diesen unseren stolzen Kunstbesitz ebenso schön, gehaltvoll und u n , .populär" zu veröffentlichen, wie dies Norbert Lieb mit den „Barockkirchen zwischen Donau und Alpen" getan hat?

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