6653342-1959_14_11.jpg
Digital In Arbeit

Wider den Maginotkomplex!

Werbung
Werbung
Werbung

„Bei Kriegsausbruch befand ich mich in Paris. Die Leute auf den Straßen zuckten lässig die Achseln: .Niemals werden die Deutschen französischen Boden betreten. Wir haben unsere Maginot- Linie!’ Ich glaubte ihnen und bemühte mich, so lässig zu sein wie sie.

Zehn Monate später gab es keine Maginot-Linie mehr, und ich befand mich auf der Flucht.

Als der Krieg im Pazifik begann, zuckten meine englischen Freunde lässig die Achseln: .Niemals werden die Japaner in den Indischen Ozean kommen. Wir haben Singapur!’ Ich glaubte ihnen und bemühte mich, so lässig zu sein wie sie.

Ich war es nicht lange …”

Mit diesen einprägsamen Sätzen beginnt das vorliegende Buch. Ein Oesterreicher hat es geschrieben, persönliche Erfahrungen haben es ihm diktiert. Durch sie angeleitet, begann Egon Eis Rückschau zu halten. Und je mehr er forschte, je gründlicher er sich mit dem Schicksal großer Bollwerke und Sicherheitszonen befaßte, hinter denen die Menschen ein Leben in Geborgenheit zu führen vermeinten, um so bitterer wurde die Erkenntnis: „Militärische Sicherheit ist eine Illusion. Sie ist stets eine Illusion gewesen. Wer ihr huldigte, ist als ihr Opfer auf der Strecke geblieben. Die Illusionen der Vergangenheit waren verständlich — die Illusionen der Gegenwart mögen töricht erscheinen — Illusionen über die Zukunft wären närrisch.”

Hiermit ist der Rahmen einer Arbeit abgesteckt, die in einprägsamer, beinahe möchte man sagen reportagehafter Form die Geschichte der berühmtesten künstlichen und natürlichen Befestigungsanlagen der Welt einem breiteren Leserpublikum vermittelt und dieses zum Nachdenken über den trügerischen Sicherheitscharakter der festesten Mauern, der höchsten Gebirge und der dichtesten Dschungel anzuregen vermag. Egon Eis’ Zusammenschau ist umfassend. Die großen Mauern — allen voran natürlich jene Chinas —, mit deren Bau sich die Menschen Sicherheit zu erkaufen vermeinten, machen den Anfang. Ein Kapitel über die Festungen folgt. Von besonderer Eindringlichkeit und Farbe ist hier die Schilderung eines Besuches des Wolkenschiffes „La Feriere” auf Haiti — ein für seine Zeit unangreifbares Superbollwerk, für das der Negerkönig Henry Christoph I. hier in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sein Yolk roboten ließ. Kein Schuß wurde je von „La Feriere” abgefeuert. Im Gegenteil: Henry Christoph gab sich vor ihren Mauern den Freitod, als ein Aufstand des geplagten Volkes ausbrach und der alternde Tyrann zu schwach war, um die Stufen zu seiner Zwingburg zu erklimmen…Das Schicksal vieler moderner Festungen und ihrer Auftraggeber — allen voran das der berühmten Maginot-Linie und des Westwalls — ist hier von- weggenommen.

Den Sicherheitszonen der Natur gilt des Autors weitere Aufmerksamkeit. Aber auch hier hat das, was er unter vielen anderen Beispielen von der „Bergfestung” der Eidgenossenschaft festhält, allgemeine Gültigkeit: „…Obgleich sie in einer natürlichen Bergfestung leben, blieben die realistischen Schweizer stets frei von jeder .Festungspsychologie’ …Die Berge bilden bloß einen natürlichen Teil des Mobilisationsplanes …niemals fiel es der Schweiz ein, sich hinter ihnen vertrauensvoll geborgen zu fühlen. Sie glaubten s1ets daran, daß die Geister von Oerlikon (wo ihre berühmten Waffenfabriken stehen) ihnen mehr Schutz gewähren können, als die Dämonen des Eiger und des Matterhorns. Sie überlassen die Berge dem Fremdenverkehr und stützen ihre Sicherheit auf die Verteidigungskraft ihrer Einwohner” (S. 158).

Hier ist bereits ein Ton angeschlagen, der in dem letzten Kapitel, das der Technik und dem Streben der Menschen gewidmet ist, sich mit ihren letzten Entdeckungen zu wappnen und unangreifbar zu machen, wiederkehrt. „Ist aber technische Entwicklung gleichbedeutend mit erhöhter Sicherheit? Dürfen die Menschen heute und morgen ruhiger schlafen, weil sie nicht mehr bloß von Stein und Pulver geschützt werden, als von Elektronen und flüssigem Sauerstoff?” (S. 326).

Und Egon Eis’ Antwort: Defaitismus? Fatalistische Ergebenheit? Selbstaufgabe? Keineswegs. Nachdem er das Streben der Menschen, von den Anfängen der Geschichte herauf bis ins Atomzeitalter, sich durch künstliche Bastionen und natürliche Zonen absolute Sicherheit zu verschaffen, mehr als einmal als Illusion gezeigt hat, schließt er mit dem allzeit gültigen, gerade aber in satteren, dem Sicherheitsstreben zugeneigten Zeiten nicht zu üb rlesenden Bekenntnis: „Auch wenn wir unsere Bollwerke tausende Meilen in den Weltraum hinausschießen, werden wir darum nicht sicherer sein. Unsere wirkliche Verteidigungslinie liegt in uns selbst. Wir müssen lernen, nach innen zu blicken. Kaum drei Zentimeter unter unserer äußeren Hülle schlägt das Herz.”

Das Buch von Egon Eis kommt zur rechten Zeit. Auch nach Oesterreich. Gerade nach Oesterreich. Müssen wir doch bei uns in den letzten Monaten auch im Kampf der Geister und Ideologien eine bedenkliche Zunahme des „Maginot-Denkens” feststellen. Nur intra muros glaubt man sich sicher, fühlt man sich stark. Dabei haben wir es doch am eigenen Leib erlebt: Der Bewegungskrieg entscheidet im 20. Jahrhundert! Auch auf den Schlachtfeldern der großen geistigen und politischen Auseinandersetzungen wird nur der letzten Endes bestehen können, der diese Tatsache zum Ausgangspunkt aller weiteren Ueberlegungen macht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung