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Auf dem Belgrader Posten

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Über den 11. März 1938 sind wir bereits hinreichend unterrichtet, viel weniger über dessen Vorgeschichte, die noch stark verschleiert ist. Zu begrüßen ist daher der Bericht des ehemaligen österreichischen Gesandten in Belgrad, Lothar Wimmer, über seine Amtszeit in Jugoslawien 1937/38. Der durch sein Buch „Zwischen Ballhausplatz und Downing-street“ bestens bekannte Diplomat hält es mit Recht für wertvoll, die Ereignisse „von einem Außenposten“ aus gesehen zu haben, wodurch „das Bild immer deutlicher, die Gefahr unmittelbar sichtbar und das ganze Urteil unabhängig“ wurden. Freilich war vor dem Anschluß schon eine gewisse Scheidung der Geister eingetreten, so daß warnende Berichte von Missionschefs in der Zentrale nicht durchweg eine ungeteilte Aufnahme fanden, was aber den guten Österreicher auf dem Belgrader Posten nicht beirrte: „Zu Österreich zu stehen war nicht Eigensinn, es war nicht nur eine Forderung der Pflicht, es war für uns, für mich, das Einbekenntnis dessen, was man ist.“

Die Haltung Jugoslawiens war, wie jene Ungarns, dem Anschluß nicht abgeneigt, „in der Atmosphäre des deutschen Drucks, des englischen Temporisierens, der französischen Unstabilität und der italienischen partiellen Handlungsfreiheit war eine Welle des Pessimismus für Österreich in Belgrad unvermeidlich“. Entscheidend war dann, nach Wimmers Darlegung, die Politik Englands, dessen Friedenswillen

„von der Welt hätte gesegnet werden müssen, wenn er ihr die namenlose Barbarei des zweiten Weltkriegs erspart hätte“. Vielleicht wäre hier beizufügen gewesen, daß man den Frieden auch 1938 nur mit Macht aufrechthalten konnte, daß indessen die angelsächsischen Mächte abgerüstet waren. Das von allen Seiten verlassene Österreich hat, sagt der Verfasser, „einen vierjährigen Widerstand gegen eine überwältigende Übermacht bis zum letzten Augenblick“ geleistet; westliche Diplomaten hätten sich nach 1945 gewundert, daß jene Österreicher, die sich für Österreich zu opfern bereit waren, durch die Charakterisierung als Austrofaschisten um die Anerkennung ihrer patriotischen Haltung gebracht wurden.

Lothar Wimmer beschließt seinen überaus aufschlußreichen Beitrag zu einem wichtigen Kapitel neuösterreichischer Geschichte mit Betrachtungen über „Die Wandlung des Österreichers“ und über „Österreich und die andere Welt — Mut zur Toleranz“. „Wir sind“ — ist zu lesen — „Österreicher und wollen und werden es bleiben... einig mit jenen, die Mord und KZ hassen, aber Liebe entgegenbringen den nahen Nachbarn, die die Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis entgegenstellen, zu dem wir verpflichtet sind, ohne auf unser Eigenleben zu verzichten. Es ist dies die wahre österreichische Tradition.“

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