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Das Erbe von Weimar

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Klassikerausgaben erzählen Geschichte. Das Mammutgebäude der 143 Bände Weimarer Ausgabe war Abbild einer Epoche. Seither wurden neue Handschriften gefunden, und es gilt vor allem, die Klassiker in ein lebendiges Verhältnis zum Volk zu bringen, wiewohl der alte Goethe zu Eckermann bemerkt hat: „Meine Sachen können nicht populär werden.“ Das Sy.stem, nach dem der „Faust“ herausgegeben wird, ist ein synoptisches: Mit einem Blick können „Urfaust“ und „Fragment“ verglichen werden, da beide Fassungen auf den einander gegenüberstehenden Seiten gedruckt sind. Dem Textbande werden eigene Anmerkungsbände folgen. Zum „Faust“ kommt noch die hübsche Gabe des (un-paginierten) Anhanges, der die faksimilierte Handschrift des „Urfaust“ typographisch vorzüglich herausbringt. Es ist zu hoffen, daß die Akademie-ausgabe das Erbe Weimars der neuen Zeit entsprechend organisch entwickelt.

Auch die Schriften zur' Naturwissenschaft liegen bloß in der Sophien-Ausgabe verhältnismäßig vollständig vor. Sie ist vergriffen, und die Zeit — bei der Naturwissenschaft doppelt zählend — ging nicht spurlos an der Edition vorbei. Deshalb beschloß die Deutsche Akademie der Naturforscher (Leopoldina) schon 1943, alle Kundgebungen Goethes zur Naturwissenschaft zu sammeln (sogar die Rezensionen dazu). In dieser Form wird einmal der Text zwölf Bände umfassen; die zweite Reihe gibt die Anmerkungen: nach Abschluß der beiden Reihen folgen zwei Kommentarbände. Die Anordnung des 9. Bandes weicht von der chronologischen Art ab. Gebracht sind die Aufsätze, welche zwischen 1817 und 1824 in den Heften „Zur Morphologie“ von Goethe gesammelt wurden. Typographisch wäre hervorzuheben, daß jene Aufsätze, welche Goethe von fremden Autoren in seine Hefte übernommen hat, in Petitsatz, in Kursiv die Beifügungen und Einschaltungen des Herausgebers stehen. Die Tafelbilder bringen nicht bloß die Skizzen, sondern auch die Zeichnungen und gemalten Bilder. — Die „Neuen Hefte zur Morphologie“ kennzeichnen sich schon durch ihren Titel als Nachfolger der sechs Hefte Goethes. Sie sollen Ergänzungen, vorauszunehmende Berichte und Abbildungen bringen, die in der Leopoldina-Ausgabe erst in Zukunft erscheinen könnten. Ein Zusammenspiel, eingedenk der Dichterworte: „Und was nicht war, nun will es werden zu reinen Sonnen, farb'gen Erden; auf keinen Falle darf es ruhn.“

Das von Traute Stein aus dem Russischen übertragene Goethe-Buch ist in erster Linie für das sowjetische Volk geschrieben. Zielsetzung: Goethe gesellschaftskritisch zu werten. Mit dieser Einstellung folgt Sehaginjan den russischen Literaturwissenschaftern Belinski, Herzen und Tschernyschewski. In der Aufzählung der Werke (Seite 19) ist bei der Bandzahl der Briefe zu berichtigen, daß es nicht „etwa hundert Bände“ Briefe und Gespräche gibt. Die Weimarer Ausgabe hat bis 1920 in der 4. Abteilung 50 Bände Briefe publiziert; wozu die von Biedermann 1889—1896 gesammelten Gespräche in zehn Bänden treten.

Wenn wir nun seit einigen Jahren wieder die Mitteilungen der Goethe-Gesellschaft zu Weimar in der Form ihres Jahrbuches in Händen halten, so erfüllt uns ehrliche Freude. Was immer auch geschah und noch geschieht: alte Freunde (wie Prof. Spranger) sind wieder am Werke, ein Band geistiger Einheit zu fügen. Heute erweist es sich mehr denn je, daß eine große Idee immer gegenwärtig ist. Gesunder Gegenwartssinn zeichnen die Mitteilungen aus und es ist, wie Goethe zu Jubilate 1824 an Marianne von Willemer schrieb: „Nur in Gegenwart läßt sich das Beständige wie das Vergängliche fühlen; die Wahrheit der Verhältnisse bestätigt sich alsdann, wenn das Scheinbare unaufhaltsam verfliegt.“

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