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Die Memoiren des Augenzeugen

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„Der Satz „wie aus unzuverlässiger Quelle verlautet“ hat noch nie über Pressemeldungen gestanden. Stern-Rubarths Titel, den er mit Recht für seine Memoiren gewählt hat, ist freilich in den Zeitungen nur noch selten über Nachrichten aus dem In- und Ausland zu finden. Dabei wäre den Blättern des Tages, angesichts der Auseinandersetzung, in die sie ihr mächtigster Konkurrent, das Fernsehen, gedrängt hat, nichts so intensiv zu wünschen, als ein Sichbesinnen auf Authentizität.

Stern-Rubarth ordnet und kommentiert in seinem Rückblick politische Geschehnisse aus der Zeit um 1900 bis in die Gegenwart — aus journalistischer Augenzeugenschaft Er freilich hat stets zu jenen Publizisten gehört, die nur „aus zuverlässiger Quelle“ berichteten. Auf dem Spielplatz außenpolitischen Geschehens hat er nie gefehlt. Seine Allgegenwärtigkeit hat ihn während seiner „schönsten Jahre“ (mit Friedrich Sieburg zu sprechen) als Intimus von Staatsmännern, wie Strese-mann und Briand, zwar nie zum Schiedsrichter, doch oft zum „Chef des Protokolls“ der Geschicke Europas werden lassen.

Alle Erinnerungen tätiger Journalisten ähneln einander. Wie gern sprechen sie mit berechtigtem Stolz von Höhepunkten im Dasein des politischen Berichterstatters! Es sind jene Sekunden der Weltgeschichte, in denen Journalisten durch kluges Formulieren der Nachricht Ereignissen in letzter Minute eine glücklichere Wendung geben, als das den Politikern in der Verbissenheit ihrer Auseinandersetzung möglich gewesen wäre.

Carlo Schmnd hat in einem Versuch zum Thema „Politiker und Journalisten“ (in: Die Neue Gesellschaft, 11. Jg., Juli—August 1964, S. 318—320) davon gesprochen, daß es dem Journalisten um das „Rechthaben“, dem Politiker um das „Rechtbehalten“ gehe. Dem unermüdlichen Beobachter des politischen Ränkespiels in Europa, Edgar Stern-Rubarth, das ihn über 50 Jahre in Atem gehalten hat, geht es — wie einst in der Praxis des Tages — nun auch in der Rückschau allerdings weder um das Rechthaben noch um das Rechtbehalten.

Leidenschaftslos, vornehm, ja still hat er das vielberufene, oft angezweifelte Amt des „Wächters“ ausgeübt. Politische Publizisten von Rang, wie Schlözer, Görres, Lassalle, Ossietzky, sind dieser Aufgabe bis zum Märtyrertum treu geblieben. Nicht minder tapfer hat Stern-Rubarth seiner Berufung noch in der Emigration gedient: über 1933 hinaus zum Besten des außenpolitischen Ansehens Deutschlands und zum Wohlergehen Europas.

Das Bestechendste an seinen Memoiren ist, daß Stern-Rubarth, der in Krieg und Frieden nur das Gute für die Menschen des 20. Jahrhunderts gewollt hat, kein Anerkennen seiner Leistungen verlangt. Noch mit über 80 Jahren ist ihm dieser Gedanke fremd. Unverdrossen kämpft er in Wort und Schrift, auf Reisen und in Reden gegen „Sensationen aller Art“, welche die „echte Proportion der Dinge zerstören“. Unverdrossen bemüht er sich um wahre „Urteilsfähigkeit über das innere Gewicht der Ereignisse“.

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