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Ein Brief ohne Absender

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Recht dicht gesät sind Jahres- unc Erinnerungstage, die bedeutende historische Ereignisse, Geburts- odei Todestage von Geschichte machenden Persönlichkeiten und Wendepunkte menschlichen Auf- und Abstiegs ins Gedächtnis rufen, die mahnen, warnen, wie auch rühmen — zu Recht oder zu Unrecht. Je weiter zurück nun solche Tage oder Jahre dei „Besinnung“ führen, um so spärlicher werden sie und um so wenigei bedeutungsvoll erscheinen sie im allgemeinen. Liegen die Ereignisse mehrere Jahrhunderte zurück, so ist es dann meist nur noch den historisch Interessierten im weitester Sinne überlassen, sich das Wisser von einst Geschehenem anzueignen und es den Zeitgenossen und dei Nachwelt zu vermitteln und verständlich zu machen.

Das Jahr 1965 ist ein solches Jahi des Gedenkens an ein Ereignis, das einst für Europa von großer Bedeutung war, viele Hoffnungen erweckte, heute aber praktisch der Vergessenheit anheimgefallen ist 800 Jahre sind vergangen, seit 1165 ein Gerücht durch einen Brief für das christliche Abendland zur unbe-zweifelbaren Gewißheit geworden zu sein schien. Dieser Brief, der an Kaiser Manuel Komnenos von By-zanz gerichtet war, galt als Beweis für die Richtigkeit des schon seit 1145 in Europa kursierenden Gerüchtes von der Existenz eines großen christlichen Reiches in Indien und dessen „Priesterkönig Johannes“. Manuel war aber sicher nicht der einzige christliche Herrscher, der einen solchen Brief erhalten hatte. Zumindest Papst Alexander III. und auch Kaiser Friedrich Barbarossa dürften zu den Empfängern ähnlich lautender Schreiben gezählt haben. Der Verfasser dieser Briefe soll nun der legendäre Priesterfürst Johannes selbst gewesen sein. Auf diesem Wege wollte er angeblich mit dem christlichen Abendland in Verbindung treten und über sein Reich, seinen Hof und seine Person informieren. Es wurden aber auch die tollsten Phantasterein geschildert, die jedoch in den Augen des damaligen Europa die Echtheit der Schreiben nicht unbedingt in Frage stellten. An den Höfen Friedrich Barbarossas und Manuels scheint man aber trotzdem diesen Briefen aus dem Orient skeptisch gegenübergestanden zu sein, da von einer Antwort der Herrscher nichts bekannt wurde. Diese Skepsis war berechtigt, denn die Briefe waren, wie wir heute wissen, Fälschungen, deren Urheber nie bekanntgeworden ist. Wenn in ihm der damalige Bischof von Mainz gesehen wird, so beruht dies bloß suf einer Vermutung. Papst Alexander III. schenkte aber dem Schreiben anscheinen« mehr Vertrauen, verfaßte er docl 1177 eine Antwort an den vermeintlichen Presbyter Johannes in Indier und schickte seinen orientkundiger Leibarzt Philippus damit auf der gefahrvollen Weg. Gesandter wie Brief blieben für immer verschollen ...

Höchst politische Absichten

Welchen Zweck mochte der anonyme Absender der Briefe verfolg haben? Wenn wir von der Möglichkeit absehen, daß er durch sie der Erzählungen vom Priester Johanne! lediglich mehr Gewicht Verleiher oder ein christliches Reich in idealei Sicht darstellen wollte, so drängl sich doch der Schluß auf, daß durch das konkrete Auftauchen eine; mächtigen christlichen Herrschers in Rücken des islamitischen Hauptfeindes dem Abendland Hoffnung unc Zuversicht für die Auseinandersetzungen mit der mohammedanischer Welt gegeben wurde. Der unbekannte Schreiber verfolgte demnacl eine höchst politische Absicht!

Wie kam es aber nun zu den Gerüchten um den indischen Priestei Johannes, die ja in den Briden zi politischen Zweck ausgenutzt wur den? Der Geschichtsschreiber Bischo: Otto von Freising berichtet 1145 vor seinem Zusammentreffen mit einen Bischof aus Syrien und dessen Er Zählungen vom christlichen Prieste: und König Johannes, „der jenseit: von Persien und Armenien im äußer sten Osten“ sein Reich haben sollte Damit aber wird die Frage aufge-worfen, ob diese recht konkrete Erwähnung und auch alle den Priestei Johannes betreffenden Gerüchti überhaupt einen realen Hintergrund besitzen.

Der Kern des „Johannes-Mythos“

In den ersten Jahrhunderten ginj die christliche Missionierung nich nur nach dem Westen zu, quer durcl das Römische' Reich, sondern aucl nach Osten, nach Arabien, Persien Nordostafrika und Indien. Die Christ-liehen Gemeinden wurden aber dam in diesen Gebieten durch die Expansion des Islam vom Westen abge schlössen und gingen früher ode: später fast vollkommen zugrunde — doch nicht sogleich und auch nich alle! Eine der sich lange behaupten den Christengemeinschaften war dii der Nestorianer in Zentralasien Yeliutaschi, ein Fürst dieses Gebie tes, der, wie manche seiner Unterge benen, vielleicht sogar selbst Nesto rianer war, eroberte im 12. Jahrhundert ein nur kurz bestehendes aber großes Reich. Von seinem groß artigen Sieg über die mohämmeda nischen Seldschuken in der Schlach bei Samarkand drang die Kundi rasch bis in den Vorderen Orient um ins Abendland; ob die Gerüchte von christlichen Reich im Osten so entstanden sind?

Eine andere Quelle könnte darii liegen, daß es in Abessinien eir christliches Reich gab, das sich seit dem Ubertritt König Aizanas' von Axum zum Christentum, im 4. Jahrhundert, bis auf den heutigen Tag halten konnte, trotz Isolation vom Westen und vielerlei Gefahren und Bedrängnissen. Man -wußte damals von diesem Reich, werm auch nicht sehr viel, und schließlich verschmolzen damit auch die spärlichen Nachrichten aus Asien zu einer Vörstellungseinheit. Auf Abessinien paßt das mittelalterliche Bild vom Priester Johannes und seinem Reich in mancherlei Hinsicht viel besser als auf die äußerst kurze Episode der Machtentfaltung des Fürsten Yeliutaschi. Bei der Suche nach einer Lösung des Rätsels darf man somit Abessinien keineswegs außer achl lassen. Das vage Wissen um das Bestehen dieses christlichen Landes bildete so vielleicht den innersten Kern der „Johannes-Mythe“. Es stört dabei nicht, daß man sich den Priester Johannes als einen König von Indien vorgestellt hat, war doch unter dem Namen „Indien“ nur „ein großes Land im Osten“, voll der wundersamsten Dinge, Wesen und des sagenhaften Reichtums bekannt. Eine genauere geographische Lokalisation fehlte jedoch völlig.

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