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Grausam nüchterne Dokumente

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E. T. A. HOFFMANNS BRIEFWECHSEL. Gesammelt und erläutert von Hans von Müller (f) und Friedrich Schnapp. Herausgegeben von Friedrich Schnapp. Drei Bände. — München, Winkler-Verlag, 1967 bis 1969. 493, 430, 493 Seiten. 1. und 2. Band DM 38.—, 3. Band DM 41.—.

Das Vorspiel dieser dreibändigen monumentalen Ausgabe von Hoffmanns Briefen und sonstigen erhaltenen Lebenszeugnissen ist die 1912 erschienene Sammlung „E. T. A. Hoffmann im persönlichen und brieflichen Verkehr“, die Hans von Mül-' 1er als eine der originellsten, interessantesten und an graphischer Extravaganz kaum zu überbietenden Editionen jener Jahre erscheinen ließ. Die vorliegende Neuauflage und wesentliche Ergänzung dieser alten Edition un^rscheidet sich von jener früheren, heute auf dem Büchermarkt gesuchten dadurch, daß sie die Briefe um 182, die an Hoffmann gerichteten Schreiben um 28 Stück vermehrt hat. 113 der neuen Funde werden hier erstmals im Druck veröffentlicht. Der dritte Band deckt sich mit der Bezeichnung „Briefwechsel“, wie der Herausgeber selbst verweist, nur teilweise. Die einzelnen Abschnitte zeigen, daß hier Urkunden aller Art, Dokumente und wichtige Bilder zum Leben Hoffmanns gesammelt sind. Auch die Laufbahn Hoffmanns als Richter und besonders der „entsetzliche Tort“ der Affäre um das Märchen „Meister Floh“, wie Tod, Testament, Grabstein, Versorgung der Witwe und dergleichen kann hier an Hand der vollständig und reich kommentierten Dokumentation verfolgt werden. Auch die „grausam-nüchternen Dokumente“ über Hoffmanns Verschuldung nach seinem Tod sind hier einzusehen.

Die vom Herausgeber Friedrich Schnapp zu der großartigen Leistung Hans von Müllers noch hinzugeleistete Arbeit steht als Monumentalleistung der Hoffmann-Forschung nunmehr der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung. Wer die Persönlichkeit Hans von Müllers

erlebt, oder aus der Ferne In ihren Leistungen gekannt und beobachtet hat, weiß, daß ihm diese Dokumentensammlung fast lieber war als eine auf diesem Material aufgebaute Biographie. So beginnt denn auch sein Nachlaßverwalter Friedrich Schnapp das Vorwort zum 1. Band mit dem Hinweis: „Keine Biographie Hoffmanns vermag die Zeugnisse zu ersetzen, die — neben den Tagebüchern — seine Briefe darbieten“. Und dennoch — es kann und darf der Forschung nicht verwehrt bleiben, dieses Material zu einem Ganzen — gesehen durch ein Forschertemperament — zusammenzufassen. Wer vermuten sollte, hier Briefe in der Art Goethes oder Rilkes zu Anden, sieht sich bald enttäuscht Um diese Briefe richtig genießen zu können, muß man Hoffmann-Kenner sein, und an die Hoffmann-Kenner sind diese drei Briefbände denn auch gerichtet. Was hier vorliegt, hat deshalb Bedeutung, weil es den ganzen Reiz von Hoffmanns Persönlichkeit ausstrahlt. Die muß man zuerst lieben — und das hat Hans von Müller so sehr getan, daß ihm das Bild dieser Persönlichkeit fast wichtiger war als dessen Werke —, um hier genießen zu können. So tritt Hoffmanns lauterer Charakter in seiner überlegenen Grazie wie illusionslosen Bescheidenheit deutlich sichtbar zutage. Für die Hoflmann-Forschung ist das Erscheinen dieser Neuausgabe eine glückhafte Stunde: solange diese drei, seit langem angezeigten Bände nicht vorlagen, konnte niemand sagen, in welcher Weise denn das von Hans von Müller vorgelegte Material revidiert und ergänzt würde. Nun liegen die Karten auf dem Tisch und können eingesehen werden. Möge es der Hoffmann-Forschung — die bisher nicht immer unter einem guten Stern stand — gegönnt sein, die bisherigen Ergebnisse auf Grund dieser gewaltigen Herausgeberleistung bis^ zur endgültigen Gestaltung der Biographie vorzudringen. Die Leistung Schnapps als Herausgeber ist höchsten Lobes würdig. Besonders seien die kommentierenden Fußnoten als Thesaurus der Hoffmann-Biographie hervorgehoben.

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