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Hoffnung auf die Intelligenz

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DER FÜNFTE STAND. Aufbrach der Intellektuellen in West und Ost. Von Wolfgang Kraus. Scherz-Verlag, Bern-München-Wien. 170 Seiten. DM 16.80.

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DER FÜNFTE STAND. Aufbrach der Intellektuellen in West und Ost. Von Wolfgang Kraus. Scherz-Verlag, Bern-München-Wien. 170 Seiten. DM 16.80.

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In bestimmten Kreisen ist es gegenwärtig Mode, sich ein grünes EU auf sein Auto zu kleben, um dadurch seine „Europagesinnung“ zu dokumentieren. Diesen Firlefanz braucht Wolfgang Kraus nicht. Zum Unterschied von jenen Zeitgenossen, deren Europa am Neusiedlersee oder an der Elbe endet, ist der Publizist und Leiter der österreichischen Gesellschaft für Literatur nämlich ein wirklicher Europäer. Das heißt, er ist über den Literaturbetrieb in Hamburg genau so informiert wie über die jüngste Theaterpremiere in Budapest, er diskutiert mit einem englischen Schriftsteller heute ebenso fachkundig die Probleme der zornigen jungen Männer von dessen Heimat, wie er Verständnis und Einfühlung in die Situation, aus der junge Schriftsteller in Polen oder in der CSSR ihre Aussagen vortragen, besitzt.

Dieser intimen Milieukenntnis verdankt auch das vorliegende Buch seine Entstehung. In ihm wird nichts weniger als die These aufgestellt, geschickt begründet und durch anschauliche Beispiele belegt, daß sowohl im „Westen“ wie im „Osten“ ein neuer, der „Fünfte Stand“, dabei ist, sich zu etablieren: die Intellektuellen. Über sie werden die Mächtigen des Tages in Zukunft immer weniger hinwegsehen und zur Tagespolitik übergehen können. Der Autor ruft dabei die einem Kenner der Verhältnisse vertraute, einer breiteren Öffentlichkeit bei uns aber nicht bekannte Tatsache in Erinnerung, daß die Schriftsteller, die Dichter und Wissenschaftler, kurz, die Männer des Geistes in jener Welthälfte, die den Materialismus auf ihre Fahnen geschrieben hat, nicht nur mehr Reputation, sondern auch indirekt trotz vieler Repressalien und bisweilen kleinlicher Schikanen mehr Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung ausüben als dort, wo hinter abendländischem Paravent das rein Materielle zu stark in den Mittelpunkt aller Überlegungen gerückt ist.

Wolfgang Kraus aber weist nach, daß auch in unserer Konsumgesellschaft eine verstärkte Nachfrage nach dem Bedarfsartikel „Intellekt“ eingesetzt hat. Da man in der Gegenwart und noch mehr in der Zukunft sowohl im östlichen wie auch im westlichen Gesellschaftssystem ohne die Intellektuellen im wahrsten Sinn des Wortes „Staat machen kann“', schöpft Kraus ebenso wie aus dem allen geistigen Menschen gemeinsamen Freiheitsdrang große Hoffnungen für die Zukunft. Heimito von Doderer hat nach der Lektüre von diesem Buch festgehalten: „Sie werden zwischen den Erstarrungsformen des Links und Rechts durchbrechen und über den Trümmern sich bekämpfender und endlich stürzender Ideologien die glorreiche Revolution vollziehen: Die Weltrevolution der Intelligenz.“ Das ist eine große Perspektive. Man möchte dagegen zum Realismus raten und daran erinnern, daß auch die Dummheit in Rechnung gesetzt werden soUte. Sie und ihre Repräsentanten, deren es gar nicht so wenige gibt...

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