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Rauchfangkehrer-Image

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Die Weihnachts-Ansprachen haben wir hinter uns. Feierlich waren sie und würdig. Der Mensch braucht solche Trostworte, auch wenn sie heuer ein wenig extrem waren. Einerseits mehr Wirtschaftsdaten, deren Wohltat uns etwas abstrakt erschien - und andererseits mehr Armutsdaten, und auch das keine Wohltat.

Jetzt müssen wir nur die vorvorletzten Neujahrsansprachen dieses Jahrtausends noch bewältigen. Da wird es Zeit, langsam das Pathos eines Äons in die Stimme zu legen. Da gleichzeitig von solchen Ansprachen gute Allgemeinverständlichkeit erwartet wird, empfiehlt sich die Feststellung, daß es fünf vor zwölf sei. Das erweckt den Eindruck der Genauigkeit und Wachsamkeit. Der Bedner befindet sich metaphorisch im Stellwerk der Zeit und der Welt. Und, wie das bei spannenden Botschaften so ist, schon gibt eine Metapher die andere.

Im Stellwerk sind Weichen zu stellen, woraus sich zwanglos der Zug der Zukunft ergibt. In diesem sitzen wir alle. Aber gratis ist die Fahrt selbstverständlich nicht. Daher die richtige Fahrkarte, die Zahlung, die Pflicht, die Gemeinschaft, auch unter Opfern, daher auch Kontrolle. Und wehe denen, die schwarz oder am Trittbrett fahren!

I )er Neujahrsredner ist schon mitten drin. Viel kann da nicht mehr schiefgehen, aber Vorsicht ist dennoch angebracht. Die Konkurrenz der anderen Neujahrsredner schläft nicht. Mancher Hörer könnte sich langweilen, weil er das schon mehrmals gehört hat. Außerdem ist allzu dickes Unterstreichen von Pflicht und Opfer leicht politisch kontraproduktiv. Beides ist zwar bestimmt, aber doch eher beiläufig zu erwähnen. Vom Opfer, welches alle zu bringen bereit sein müssen, muß sich der Übergang zu mitmenschlicher 'Wärme ableiten. Der Mitmensch ist bekanntlich eine ganz andere Spezies von Mensch. Mitmensch klingt wie Mitleid - und das muß im 'Timbre der Stimme hörbar sein. Der Mitmensch hat bedauerlicherweise auch Wünsche, die er gelegentlich als Forderungen akzentuiert. Das Verständnis dafür gliedert sich in zwei Abschnitte. Volles, besser vollinhaltliches, Verständnis verdienen die persönlichen Wünsche, denn diese braucht der Redner nur gütig zu erwähnen, aber nicht zw erfüllen. Etwas diffiziler sind die allgemeinen Wünsche und Forderungen. Da ist schon die lehrhafte Mahnung nach Maß-und Zurückhaltung angebracht.

Der Mensch, pardon der Mitmensch, lebt aber gar nicht von Erfüllungen, sondern von Hoffnungen. Diese Hoffnung zu zerstören wäre politischer Selbstmord. Wie nährt man sie am besten? Durch Rückblicke auf erbrachte Leistungen. Hier ist der Neujahrsredner in seinem Element. Die Auswahl sollte aber so getroffen werden, daß der Konkurrenzredner nicht dieselben Leistungen aufzählt.

Aus dem Konkreten des Leistungskatalogs gilt es nun, eine zukunftsfrohe Hoffnungs-Perspektive zu erzeugen. Das bedeutet, die Versprechungen groß aber vage zu halten. Die Mitmenschen sind zwar vergeßlich, aber die Journalisten sind böse - und die Mikrochips konservieren heutzutage erbarmungslos jede Zusage. Alles, was gesagt wird, kann bei der nächsten Wahl verwendet werden.

Ks ist, wie gesagt, fünf vor zwölf, daher fließt aus dem diffusen Licht der Hoffnung nun eine Zielvorstellung, die als größter gemeinsamer Nenner die ganze Mitmenschheit vereint. Glück also! Der gute Redner gibt sich hier ehrlich und sagt, daß er auch nicht genau weiß, was das ist. Aber das ist ja das Schöne am Glück. Ks verleiht der Neujahrsansprache das Rauch-fangkehrer-Image des seligen Boten. Und dann noch als ernstere Draufgabe den Frieden. Jeder muß bekanntlich dazu beitragen. Der Neujahrsredner hat hiermit seinen Beitrag dazu geleistet.

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