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Theoretiker und Praktiker

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In einem interessanten Artikel hat kürzlich Kurt Skalni k die Meinung vertreten , es sei eine von den leidigen Folgen des schrecklichen Krieges, daß die Universitäten jetzt mit „Brotstudenten“ überfüllt sind und nicht wie ehedem der ’ reifen Forsdiung dienen. Es wird vorgeschlagen, sie von der Fülle derer, die bloß studieren, um Eignung und Berechtigung für einen praktischen Beruf zu erwerben, durch Gründung einer „Verwaltungsakademie“ zu entlasten.

Daß die große Mehrzahl derer, die Universitätsstudien treiben, sidi für einen praktischen Beruf, nicht für die Forschertätigkeit vorbereiten, ist nidit eine Kriegsfolge. Das war schon vor dem letzten, auch schon vor dem ersten Weltkrieg so, vorsichtig gc-

D. F."

schätzt, einige Jahrhunderte lang. Die Grenze ist schwer zu ziehen. Im Mittelalter waren es wohl in erster Linie die Söhne der Vornehmen und Begüterten, die mit Hund und Diener oder gar Dienern die Universität bezogen und dort lernten um des Lernens willen oder um große Geister zu werden. Wenigstens in mandien Fällen. Zuweilen wohl auch, um sich im Kreise ihrer bevorzugten Klasse ein Ansehen zu geben, oder wohl gar, um Ärzte, Richter, Advokaten zu werden. Wie dem audi sei, zu Anfang des 20. Jahrhunderts war das nicht einmal mehr in England ganz so, obwohl dort die mittelalterliche Tradition sich am längsten erhielt und bis heute nachwirkt. Die Zahl derer, die darauf angewiesen war, das Erlernte später in einem der Allgemeinheit niitzlidien Beruf zu verwenden und von den Einkünften zu leben, wuchs und gewann die Oberhand. Was hat diesen Wechsel bewirkt? Er kam ganz von selbst. Erstens bedurfte die Gesellschaft solcher ..Praktiker“ in zunehmendem Maß und in zunehmender Zahl. Ferner brachte der Fortschritt der Wissensdiaft, ganz besonders der Naturwissenschaft, es mit sich, daß eine Lehrveranstaltung nicht mehr nur ein Dach über dem Kopf, einen berühmten Lehrer und eine Anzahl von Schülern erfordert, die sich zu seinen Füßen sammelt, sondern mehr und Kostspieligeres. Zuerst machte die Erfindung des Buchdrucks es möglich und daher nötig, große und teure Bibliotheken anzusammeln überall dort, wo man jungen Adepten die ganze Sum nie der erreichten Kenntnisse zugänglich machen wollte. Weiter forderte der Fortschritt der Medizin, Chemie und Physik die Errichtung von anatomischen Theatern, Kliniken, Laboratorien. Solcher Aufwand ist kostspielig. Er überstieg und übersteigt die Leistungsfähigkeit der jeunesse doree von einst — und von jetzt. Außerdem wäre es ja ganz sinnlos gewesen, solche Einrichtungen bloß zum Privatvergnügen von wenigen zu treffen und nicht zugleich dafür auszunützen, um einen Stab von Praktikern auszubilden, die ihre Kenntnisse und ihr Können im Dienste des Staates, oder jedenfalls der Allgemeinheit, zum allgemeinen Nutzen verwenden würden.

Betrachten wir die Sache von dem Standpunkt, wie er etwa zu Anfang dieses Jahrhunderts gegeben war, so müssen wir wohl sagen: Die Schar der „Brotstudenten“, weit entfernt einen Hemmschuh zu bilden für die viel kleinere Schar der Glücklichen, denen das elterliche Vermögen oder eigene hervorragende Begabung es vergönnen wird, sich dauernd der reinen Wissensdiaft zu widmen, diese Brotstudenten machen es doch allein möglich und rationell, jene Studienapparate zu unterhalten, deren die kleinere Schar der „Auserwählten“ bedarf.

Außerdem: wie anders sollte diese kleinere Schar denn ausgewählt werden, wenn nicht so, daß sie sidi aus jener größeren Menge rekrutiert, die vorerst nur das Brotstudium im Auge hat, als die Ausgezeichnetsten und Tüchtigsten unter ihnen? Sollten sie ausgesiebt werden — nach dem Vermögen der Eltern? So war es früher. Die Studienordnung auf den britischen Inseln zeigt heute noch sehr deutliche Spuren — ich meine das für uns so schwerverständlidie Unterscheiden zwischen ,:pass“ und „honours“. Der Kontinent war in diesem Punkt — wie in so vielen anderen sozialen Einrichtungen — gut ein halbes Jahrhundert voraus. Hier einen Schritt rückwärts zu machen, würde uns schlecht anstehen, gerade in dem Augenblick, da eine englische Arbeiterregierung ehrlich bestrebt ist, den entsprechenden Schritt vorwärts zu tun.

Ich fasse zusammen: Die Berufs ausbildung zum Arzt, Zahnarzt, Ingenieur, Richter, Anwalt, Architekten, Agrikulturchemiker usw. einerseits und die Ausbildung zum „Gelehrten“, zum Forscher, zum „Weisen" andererseits müssen und werden vereinigt bleiben. Sie stützen und helfen einander. Es handelt sich, biologisch gesprochen, um eine Symbiose, ein Zusammenleben, aus dem beide Vorteil ziehen.

Und mit ihnen das Gemeinwesen. Denn wir haben bis jetzt nur von der einen Seite der Sadie gesprochen; und dieses ist die andere. Ebenso wie alles andere sind auch unsere bürgerlidien und staatlichen Einrichtungen — das wissen wir heute mit Sicherheit — nicht etwas Statisches, sondern etwas, das, in ständiger Entwicklung begriffen, einen allmählichen, aber unaufhalt- mem Wechsel unterworfen ist. Es geht ein steter Strom von Entwicklung von den Gelehrtenstuben und Laboratorien in den Apparat der öffentlichen Organisation und Verwaltung. Dieser Strom — ob er im einzelnen Gold führe oder Pestilenz — ist Leben. Ihn unterbinden bedeutet Erstarrung und Tod. Wie aber sollte er fließen, wenn man eine Trennungswand setzt zwischen lehrender Forschung und ausübender Praxis?

Der Praktiker (Staatsbeamte, Ingenieur, Arzt, Richter usw.), der zu seiner Ausbildung einige Jahre an der Universität zubringt, kommt während dieser Zeit, die ihm meist für den Rest seines Lebens als goldene Blütezeit der Jugend in der Erinnerung haftet, in engste Berührung mit den Stätten, wo die Entwicklung menschlichen Denkens und Ringens im virulentesten Stadium sich vollzieht. Er lernt die Freiheit kosten, die geistige Freiheit der Wahl des vernünftigen Weges, das Vertrauen auf die eigene Urteils-: kraft als letzte Instanz. Ihm den Zutritt dazu zu rauben, indem man die Stätten der Forschung von denen der Berufsausbildung trennt, hieße der Weiterentwicklung der Gesellschaft den Lebensnerv abschneiden — auch wenn nicht rein ökonomische Umstände die Trennung ganz unmöglich machen würden. Mit einem Wort, die Trennung ist nicht bloß praktisch unmöglich; selbst wenn sie möglich wäre, wäre sie unerwünscht, selbstverstümmelnd.

Vertragen wir uns also, wir Adepten der reinen Wissenschaft und wir Verwerter der selben. Es ist keine so scharfe Trennung zwischen unseren Reihen, sie laufen ineinander. Jedenfalls aber brauchen wir einander, und es ist gut, daß wir einander brauchen.

Der bekannte österreichisch Physiker un-d Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, der jetzt in Irland eine neue Heimat gefunden hat, bezieht sich hier auf den in Nummer 4 der „Furche“ vom 24. Jänner 1948 veröffentlichten Artikel „österreichische Studenten 1 9 4 8“ von Kurt Skalroik, zu dessen viel- beaditeten Ausführungen unser gefeierter Landsmann aus grundsätzlicher Schau Stei'nng nimmt.

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