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Digital In Arbeit

Trakl-Gesamtausgabe

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Einem Kenner der bisherigen Gesamtausgaben von Trakls Dichtungen scheint es auf den ersten Blick kaum faßbar, daß dessen eher schmales Werk zu zwei solch dicken Bänden ausgewachsen ist. Doch schon ein flüchtiger Blick in die beiden Bände genügt, um zur Uberzeugung zu gelangen, wie wenig man eigentlich von Trakls Werk gekannt hatte. Das betrifft nicht allein die Quantität des Dargebotenen, vielmehr noch die Einsicht in die Dokumentation zu Werk und Leben, der sich keine Interpretation wird mehr entziehen können. Wohl mag man die wesentlichen geistigen Strukturen der Trakl-Welt erfaßt haben — man denke nur an Martin Heideggers Interpretation —, doch verdichten sich die mehr oder minder geahnten Strukturen nun zu festen Umrissen.

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Einem Kenner der bisherigen Gesamtausgaben von Trakls Dichtungen scheint es auf den ersten Blick kaum faßbar, daß dessen eher schmales Werk zu zwei solch dicken Bänden ausgewachsen ist. Doch schon ein flüchtiger Blick in die beiden Bände genügt, um zur Uberzeugung zu gelangen, wie wenig man eigentlich von Trakls Werk gekannt hatte. Das betrifft nicht allein die Quantität des Dargebotenen, vielmehr noch die Einsicht in die Dokumentation zu Werk und Leben, der sich keine Interpretation wird mehr entziehen können. Wohl mag man die wesentlichen geistigen Strukturen der Trakl-Welt erfaßt haben — man denke nur an Martin Heideggers Interpretation —, doch verdichten sich die mehr oder minder geahnten Strukturen nun zu festen Umrissen.

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Das soll nicht heißen, daß keinerlei Lücken blieben oder daß sich eine Interpretation nun erübrigte oder gar nur eine bestimmte Interpretation in Zukunft möglich wäre. Im Gegenteil, gerade die vielschichtige, nie bis ins letzte faßbare Arbeitsweise Trakls, wie sie hier dokumentiert wurde, wird eine intensivere geistige Auseinandersetzung auf den Plan rufen. Doch sie wird, was das gesichtete Material betrifft, viel genauer arbeiten können, weil sie ein Höchstmaß an erreichbaren Informationen vorfindet. Zwölf Jahre lang gingen die Herausgeber dem teils im eigenen Land unübersichtlich gehäuften, teils in alle Welt verstreuten, auf jeden Fall immer äußerst schwierig datierbaren Material nach, um zu sichten und zu ordnen. Dazu die schwer lesbare, immer wieder korrigierte, umgearbeitete, oft nur auf Papierfragmenten festgehaltene Handschrift Trakls. Dafür ein Zeichensystem zu finden, das dem Leser eine verhältnismäßig zumutbare Aufschlüsselung erlaubt, ist allein schon ein Kunststück. Sicher dienten als Vorlage, wie die Herausgeber erwähnen, Beißners große Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe und Zellers Ausgabe von C. F. Meyers Gedichten, doch sie wurde außerdem dem individuellen Schaffensprozeß Trakls angeglichen. Daß dabei an Verleger und Druckanstalt .besondere Ansprüche gestellt werden mußten, ist selbstverständlich. Um so dankbarer begrüßt man den Geist, der ein solches Unternehmen wagte, und beglückwünscht sein Gelingen. — Nun, die Rezension scheint In eine simple Lobhudelei auszuarten. Doch in diesem Fall ist es einfach erste Pflicht, die Anerkennung für die geleistete Arbeit und für ihre Ermöglichung auszusprechen. Zweitens steht man dieser ersten historisch-kritischen Ausgabe als Rezensent anfangs in berechtigter Hilflosigkeit gegenüber und muß sich gestehen, daß eigentlich nur die Herausgeber selbst ihre eigene Arbeit kritisch zu würdigen vermögen, da sie sich jahrelang mit den Problemen der Edition auseinandersetzen mußten; jeder andere wird erst einmal die geleistete Arbeit in einem gründlichen Studium nachvollziehen müssen, bevor er den Herausgebern eins .am Zeug flickt, sonst läuft er Gefahr, zu einem großmäuligen Schwadroneur herabzu-

sinken. Die folgenden Interpretationen, die sicher nicht auf sich werden warten lassen, können dann eine solche kritische Auseinandersetzung in Angriff nehmen, wie wir es ja auch bei der Hölderlin-Ausgabe Beißners beobachten können, in die dann auch die Herausgeber sicher werden eingreifen müssen. Was sie in dieser Ausgabe jedoch auszeichnet, ist, daß sie sich jeder Interpretation enthielten und auch nicht versuchten, diese in gewisse Richtungen zu lenken, hier besonders zu begrüßen, als man in Vorträgen oder Artikeln solche Interpretationsvarsuche von seiten der Herausgeber bereits notieren konnte. Hoffen wir also auf solche geistige Auseinandersetzung mit dem Werk Trakls. denn sie wird die editorische Leistimg erst fruchtbar machen, damit sie nicht zu einem Leichnam erstarre.

Nur noch einige Bemerkungen zur Gliederung der Bände. Die Gedichte Trakls erscheinen nicht in der bisher als kanonisch angesehenen Anordnung Karl Rocks, sondern in jener Reihenfolge, wie sie Trakl selbst „mit Sorgfalt und Bedacht“ gewählt hatte. Das gilt für I „Gedichte“ und II „Sebastian im Traum“. III bringt die nachfolgenden „Veröffentlichungen im Brenner 1914/15“. Frühere

oder spätere Fassungen der so gedruckten Werke sind in V „Nachlaß“ zu finden. Dazwischen stehen noch unter IV „Sonstige Veröffentlichungen zu Lebzeiten“ (Gedichte, Prosa und Rezensionen). Der umfangreiche „Nachlaß“ ist aufgegliedert in die von Trakl selbst getroffene Anordnung der Sammlung 1909, der chronologisch angeordneten Sammlungen 1909—1912 und 1912—1914, der Doppelfassungen zu I—III, anschließend Gedichtkomplexe und Fragmente, dann die Dramen und Dramenfragmente und schließlich Aphorismen und Widmungen. VI beinhaltet die chronologisch geordneten Briefe mit einem Anhang von nicht genau datierbaren Briefen. VII und VIII sind am Schluß des zweiten Bandes, der im Corpus „Vorwort und Bericht“ der Herausgber samt dem philosophischen Apparat zu Dichtungen und Briefen bringt, zu finden, und zwar unter VII „Dokumente und Zeugnisse“ (Schulzeugnisse, behördliche Dokumente, ärztliche Atteste usw.) und unter VIII „Briefe an Georg Trakl“. Ein Anhang, der Karl Rocks und K. B. Heinrichs Anordnungen der Gedichte verzeichnet, eine Lebenschronik Trakls und das Namensregister bietet, schließt das Gesamtwerk ab. Besonderes Lob verdient die saubere drucktechnische Arbeit, sowohl präzis wie schön, und die charakteristisch ausgewählten Faksimilia, die hilfreichen Einblick in die Aufschlüsselung der Handschriften gewähren. Alfred Focke

GEORG TRAKL, DICHTUNGEN UND BRIEFE. Historisch-kritische Ausgabe in zwei Bänden. Herausgegeben von Walther Killy und Hans Szklenar. Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1969, Ln., 585 Seiten und 829 Seiten, 950 S.

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