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„Umrisse eines neuen Journalismus“

19451960198020002020

Prosa II. Von Hugo von Hofmannsthal. (Gasanunelte Werke In Einzelausgaben. Herausgegeben von Herbert Steiner.) S.-Fischer-Verlag, 1B51. 445 Selten

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Prosa II. Von Hugo von Hofmannsthal. (Gasanunelte Werke In Einzelausgaben. Herausgegeben von Herbert Steiner.) S.-Fischer-Verlag, 1B51. 445 Selten

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In einem Brief an Stefan George schrieb Hofmannsthal am 18. Juni 1902: .Ich hatte von der Kindheit an ein fieberhaftes Bestreben, dem Geist unserer verworrenen Epoche auf den verschiedensten Wegen, in den verschiedensten Verkleidungen beizukommen. Und die Verkleidung eines gewissen Journalismus — in einem so anständigen Sinn genommen, daß allenfalls jemand wie Ruskin, bei uns dagegen niemand als Vertreter davon anzusehen wäre — hat mich öfter mächtig angezogen. Indem ich in den Tagesblättern und vermischten Revuen veröffentlichte, gehorchte ich einem Trieb, den ich lieber gut erklären als irgendwie verleugnen möchte.

Diesem Trieb, diesem Bestreben und dieser Anziehung danken wir eine Fülle von Essays über literarische Gegenstände, über bildende Kunst und Theater, ja selbst gelegentliche Äußerungen zu Tagesfragen, die auf den ersten Blick weitab von Hofmannsthals lyrisch-dramatischen Hauptwerken zu liegen scheinen. Eine kleine strenge Auswahl hat der Dichter zum erstenmal in den .Prosaschriften von 1907 vorgelegt. Dann wurden, im Rahmen der ersten sechsbändigen Gesamtausgabe, die wichtigsten unter dem Titel .Erfundene Gespräche und Briefe und „Reden und Aufsätze“ zusammengefaßt. Unmittelbar nach dem Tod des Dichters erschien „Loris: Die Prosa des jungen Hofmannsthal (1930), und ein Jahr später der gewichtige Band .Die Berührung der Sphären“.

Die Bände Prosa I und II bringen die essayistischen Arbeiten Hofmannsthals in chronologischer Reihenfolge, und wir haben — nachdem der 1. Band an dieser Stelle bereits angezeigt wurde — vor allem auf jene Stücke hinzuweisen, die in den früheren Sammlungen nicht enthalten waren und als unbekannt gelten können. Hier fällt das Auge zunächst auf eine Vorrede und eine freie Überarbeitung der .Traditionen zur Charakteristik Österreichs unter Franz dem Ersten des Freiherm Friedrich Anton von Schönholz. Es folgen Notizen zu einem Grillparzer-Vortrag, ein Nachruf auf Lafcadio Hearn, Essays über den deutschen Schulmann Ludwig Gurlitt und den Kunsthistoriker Richard Muther, eine Rezension des Buches .Der begrabene Gott von

Hermann Stehr, eine Reihe von Kurzcharakteristika empfehlenswerter Bücher (in der Form eines Briefes an den Buchhändler Hugo Heller), Antwortschreiben auf Umfragen und gelegentliche Äußerungen (über Tolstoj, Gustav Mahler, Liliencron und andere), ein überaus kennzeichnender Brief an Karl Kraus und schließlich zwei Äußerungen über Fragen des Takts in literarischen Dingen (in einer Stellungnahme gegen die Veröffentlichung der Privatbriefe Hartlebens) und über die Berechtigung der Zensur (anläßlich der Veröffentlichung von Flauberts Tagebüchern).

Diese kurze Übersicht der neuaufgenommenen Stücke aus deri Jahren 1901 bis 1911 mag eine ungefähre Vorstellung von der thematischen Vielfalt geben. Ihren menschlichen, künstlerischen und geistigen Gehalt zu rühmen, erscheint nicht mehr notwendig Dagegen möchte ich, gewissermaßen zur Rechtfertigung des essayistischen Genres, das Hofmannsthal in einem der schönsten Aufsätze dieses Bandes unter dem Titel .Umrisse eines neuen Journalismus gewürdigt hat, zwei kurze Stellen anführen, deren erste dem Aufsatz über Richard Muther entnommen ist: .In dieser Weise zeitgemäß zu sein, ist eine Genialität wie jede andere, aber diese besondere Form, die journalistische Genialität, atomisiert sich, indem sie wirkt, und läßt keinen ehernen Block hinter sich. Und ihre eigentliche Leistung vermögen nachkommende Generationen nicht zu ermessen, weil sie die Widerstände nicht kennen, deren Wucht sie überwunden hat; denn vermöge der Brisanz, die ihr innewohnt, verändert sie mit die geistige Landkarte ihrer Epoche, wirft trennende Gebirge übern Haufen und verbindet Getrenntes: verwischt somit die Spuren ihres eigenen Wirkens. Und — über Lafcadio Hearn —: .Das ist Philosophie, wenn ich nicht irre. Aber es läßt uns nicht kalt, es. zieht uns nicht in die Öde der Begriffe. . Ich möchte es Botschaft nennen, freundliche Botschaft einer Seele an andere Seelen, Journalismus außerhalb jeder Zeitung, Kunstwerke ohne Prätension und ohne Mache, Wissenschaft ohne Schwere und voll Leben, Briefe, geschrieben an unbekannte Freunde.

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