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Wo liegen die Ärgernisse?

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Als die ersten Eisenbahnen mit einer Geschwindigkeit von einigen Stundenkilometern über die Schienen polterten, wurde nicht selten die Forderung erhoben, dieses „Teufelszeug“ polizeilich zu verbieten, weil doch die rasende Geschwindigkeit die Gesundheit der Zuschauer — gar nicht zu reden von den Mitfahrenden — gefährde! Ähnlich erging es wohl fast allen technischen Erfindungen und Neuerungen, und auch dem Fernsehen bleibt es nicht erspart, daß immer wieder mit Scheinargumenten dagegen polemisiert wird.

Ein dabei sehr gern benützter Vorwurf gegen das Fernsehen ist der „Einbruch in die Intimsphäre des Menschen“; ein um so gefährlicheres Argument, als es tatsächlich in mancher Beziehung zutrifft; das Problem beschränkt sich aber keineswegs allein auf das Fernsehen.

Wenn sich nun aber jemand in die Öffentlichkeit begibt und dort gesetz- oder moralwidrige Handlungen begeht, oder jedenfalls solche, bei denen er nicht gesehen werden will, so ist er daran nicht zuletzt selber schuld. Bei einer öffentlichen Veranstaltung muß man — auch als Zuschauer — damit rechnen, gesehen zu werden, und wenn das Fernsehen eine solche Veranstaltung überträgt, so tut es damit ja nichts anderes, als die Zahl der Zuschauer zu vergrößern. Wenn man also in der Öffentlichkeit seinen Gefühlen, sei es durch Worte, Gebärden oder Minenspiel, sichtbaren Ausdruck verleiht, dann macht man damit eben seine Gefühle der Öffentlichkeit bekannt. Und wenn jemand angeprangert wird, weil er auf offener Straße etwa ein sehr ungleiches Paar neugierig anstarrt, dann ist er eben selber schuld! Die Gefühle, die der einzelne in seinem Inneren hegt, gehören ihm allein, diejenigen aber, die er öffentlich kundtut, unterliegen auch der öffentlichen Kritik. Oder ist es etwa eher vertretbar, wenn die unverschämt-neugierigen oder abfälligen Blicke „nur“ von denen wahrgenommen werden, denen sie gelten? q ,is msHfiW rbiub snvhsr, Anders wird die Situation, wenn es sich um Bereiche handelt, in denen sich der Mensch mit Recht für unbeobachtet halten darf. Hier wird man alles tun müssen, um die Freiheit des Individuums zu schützen, und das nicht nur vor dem Fernsehen.

Aber auch dort, wo über Geschehnisse berichtet wird, die sich in der Öffentlichkeit abspielen, treten Probleme sehr ernster — wenn auch anderer Art auf; dadurch nämlich, daß jede Vermittlung — sei es ein mündlicher oder schriftlicher Bericht, sei es ein Bild, ein Film oder eine Direktübertragung des Fernsehens — eine unvermeidbare subjektive Komponente enthält. Allein schon der Kamerastandpunkt, ja die Auswahl des

Objektes, über das berichtet wird, kommt einer Stellungnahme des Berichterstatters, des Vermittlers gleich. Das wird auf dem Gebiet des Films und des Fernsehens dadurch von besonderer Bedeutung, daß man durch die Mittel der Einstellungswahl und des Schnittes den Aussagegehalt der Bilder grundlegend verändern kann, ohne dabei den Anschein der dokumentarischen Echtheit zu verlieren. Hier setzt die außerordentlich große Verantwortung der Produzenten und Gestalter ein, aber auch die Verantwortung aller derer, die sich der modernen Publikationsmittel bedienen.

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