Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wohnbaukritik?
Seit 1945 ist fast durchweg schlecht gebaut worden — in Deutschland wie in Österreich. Mit der Ausstellung „Heimat, deine Häuser“ (zur Zeit im österreichischen Bauzentrum) wollen acht Stuttgarter Architekten der Sache auf den Grund gehen. Es gelingt ihnen so schlecht, daß man ihnen die Neuordnung nicht anvertrauen möchte.
Was gezeigt werden sollte, sind die Klischees des Wohnbaues; was tatsächlich gezeigt wird, sind die Klischees „zorniger“ Kritik, zu denen das Wort „aufrütteln“ gehört. Wandfüllende Photos von Kranführern, essenden Damen und überfüllten Badestränden („Das sind wir“) vermitteln jene vorgeformte leere Distanziertheit, die auch die nachfolgende „Analyse“ auszeichnet. Dies macht den Erfolg der Ausstellung aus: da sie nicht gegen Bauwerke, sondern gegen „Zustände“ gerichtet ist, wird niemand sich schuldig fühlen.
Es fehlt keines der Vorurteile feuil- letonistischer Gesellschaftskritik: da ist die gute alte Zeit, in der Stadt wie Dorf eine Einheit waren, da ist die böse Industrialisierung, da sind die guten, etwas zu radikalen zwanziger Jahre, da ist das böse Dritte Reich und die „verpaßte Chance“ nach dem Zusammenbruch. Diese Sprüche sind so geläufig, daß selbst das Nebeneinander sie nicht als Widersprüche entlarvt. Für das Dritte Reich war ebenso die alte Einheit Vorbild; die großen Leistungen der Gründerzeit stehen längst ebenbürtig neben denen der neuen Sachlichkeit; der Wiederaufbau nach dem Krieg auf der Basis freier Marktwirtschaft hatte durchaus keine anderen gesetzlichen Möglichkeiten.
Ebenso unvermittelt wird etwa „Einzelinteresse“ oder „Monotonie“ ange- prangert — ohne die Ein icht. daß es falsche Individualität ist, die in Monotonie umschlägt, ebenso wie konsequente
Monotonie in echte Individualität Umschlagen könnte.
Freilich sind die gezeigten Bauten schlecht. Aber wo der Gedanke falsch 1st, überzeugt das Beispiel nicht. Architektur wird hier einerseits über-, anderseits unterschätzt. Einerseits schafft Baukunst nicht schöneres Leben; sie ist im konkreten Fall für die Vitalität einer Familie, einer Stadt, eines Volkes irrelevant. Anderseits ist künstlerische Qualität absolut; ihr wird nicht mit Verbesserungen geholfen.
„Schönheit läßt sich nicht verordnen ... sie entsteht nicht durch Gesetz, sondern durch gemeinschaftliches Denken.“ Dies ist der circulus des modernen Aktivisten. Was der Sache nach keiner Regelung unterliegt, will er durch eine „Bewegung“ erreichen.
„Die bestehenden Baugesetze ... verhindern ... die freie künstlerische Entfaltung als Ausdruck unserer Zeit.“ Das ist richtig; aber die Ausstellung wird statt der Einschränkung die Aufblähung bewirken, und die „freie künstlerische Entfaltung“ wird vollends erliegen, wenn jene halbrichtigen Argumente die einer neuen Generation von Baubeamten sein werden.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!