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Wienerisches Diarium

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„Rettet den Wienerwald!“ — ja von Herzen gern. Aber wovor? Damals, vor einem Menschenalter, haben einige kluge und herzhafte Journalisten den Wienerwald vor den Spekulanten gerettet. Gewiß, die Schreibenden sind auch heute gern bereit, die Rettung ein zweites Mal zu ihrem „Belang“ zu machen. Aber die Zerstörer sind jetzt schwer zu, fassen; es sind die Siedler und die Schrebergärtner, es ist die Peripherie der Großstadt, die sich ausdehnt, die Waldränder anfrißt und sanfte Täler mit architektonischen Geschwüren und dem Schorf regelloser Parzellierung füllt. Aber angesichts dieser Großstadtflüchtigen fällt die Entrüstung schwer; wie soll man Menschen gram sein, die am Wochenende kleine Gärten pflegen und sich ihren eigenen Kohl zu bauen wünschen? Die spitzen Federn können also nur gegen jene gezückt werden, die in Ratlosigkeit und Schlamperei, in Furcht vor der Unpopulari-tät und der eigenen Verpflichtung uneingedenk, die Zerstörung so weit haben fortschreiten lassen: und das sind, leider, wieder einmal die Aemter der Bau- und Planungsbürokratie. Man hat komplizierte „Flächenwidmungspläne“ und spricht viel von dem notwendigen Schutz des Wald-und-Wiesen-Gürtels; aber man hält die eigenen Pläne nicht ein; man hat unbeschränkte Vollmachten und kann sich jede weitere Vollmacht verschaffen — aber man ist unsicher, wann man sie anwenden, wo man auf seinem Schein bestehen soll. Man hätte die Devastierung und beginnende Verrottung des Wienerwaldes verhindern können — aber da man eben selbst Gemeindesiedlungen an seinen Saum legte, drückte man die Augen zu. „Rettet den Wienerwald!“ — herzlich gern. Aber es ist noch nicht ganz sicher, ob sich nicht unter den Federn, mit denen er möglicherweise zum zweitenmal gerettet wird, einige befinden werden, die den Wiener Baubehörden ausgerupft wurden. (Wir werden auf dieses Thema noch zurückkommen; dem Niederösterreichischen Landesmuseum und den — übrigens beamteten — Veranstaltern der kleinen, aber instruktiven „Rettet-den-Wienerwald“-AusstelIung in der Herrengasse ist für ihre Initiative schon jetzt zu danken.)

Noch ein zweites Mal findet der Wiener Journalist in diesen Tagen Gelegenheit, sich an längst verjährten Taten seines Standes zu erbauen und moralisch zu ergötzen: in den1 Schauräumen der Wiener Staatsdruckerei (Wollzeile) nämlich, wo zu Ehren der nunmehr 25p Jahre alt gewordenen „Wiener Zeitung“ eine kleine Ausstellung beweist, daß auch die Makulatur in ihrer Art nicht ganz unvergänglich ist. Ob unter dem Titel „Wienerisches Diarium“ oder „Wiener Zeitung“, ob unter dem doppelköpfigen oder dem einköpfigen Adler: die Mühe der Geduldigen, die da mit ungleichem Erfolg die Tatsachen und Ereignisse und Erscheinungen fürs erste sichteten und in Worte brachten, die Arbeit der nervösen Chefredakteure und der Metteure, die mit angestrengten Augen das Gekritzel der Intelligenzler in lesbare Druckzeilen umsetzen — das Metier ist das gleiche'geblieben und der anscheinend hoffnungslose und doch nie aufgegebene Kampf des Journalisten mit der Vergänglichkeit wohl auch. Warum sollte er, da es sonst keiner tut, nicht auch einmal seinem Beruf ein Loblied singen? Wenn er sich da über die uralten Zeitungen beugt und die neuesten Berichte über die'Schlacht von Kunersdorf und die von, Königgrätz und die letzten ausführlichen Meldungen vom Ringtheafer-brand liest (als hätte Sich das eben jetzt ereignet), so sieht er doch, daß seine Arbeit nicht ganz so ephemer und ihr Stoff — die menschliche Handlung und Meinung —- von geheimnisvoller und steter Gegenwärtigkeit ist.

In einem verborgenen Winkel des Neuen Rathauses zeigt das Stadtarchiv ein Kostprobenallerlei aus seinen Schätzen: die Stadtbriefe Albrecht I. und Pläne der alten Basteien, Zunftbriefe und Schuldprozeßakten kleiner Leute, kaiserliche Ehrenbriefe, ein Tagebuch aus der Türkenbelagerungszeit und ein altes Dokument der Fischergilde, auf dem, schön gemalt, die Fische zu sehen sind, die gefangen und verkauft werden durften — es ist für jeden Wiener etwas da, der sich in den Geist der Zeiten versetzen und (was noch jeden Wiener erquickt und erhoben hat) bestätigt haben will, daß'man's auch früher nicht gar so herrlich weit gebracht und die VbrVäter auch nur mif Wasser gekocht haben.

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