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Zuviel und zuwenig Konstruktion

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Großes Zeittheater setzt Zeichen, statuiert Exempel. Das ist seine Aufgabe, zu der wir bedingungslos ja sagen, wie immer das Zeichen den jeweiligen Zeitgenossen gefallen mag. Nun hat dies freilich seine harten, methodischen Gesetze. Zwei Wege sind gleichberechtigt gangbar: die schonungslos realistische, dokumentierte Darstellung eines uns in seiner Auswirkung unmittelbar treffenden — also historischen — Sachverhalts oder die gleichnishafte, die je und je verschiedene Wirklichkeit in einen Klammerausdruck setzende Verdichtung. Ibsens „Gespenster“, Hauptmanns „Rose Bernd“, Molteres „Tartuffe“ oder das andere: „die verborgene Schuld“ (Ödipus), „die Entsühnung“ (Iphigenie), „Herr und Knecht“ (Puntila). Max Frisch versucht in seinem Stück „A n d o r r a“ diesem Zwang zum Entweder-Oder durch Einführung einer dritten Ebene zu entgehen. Er unternimmt es, hier drei voneinander nach theatralischem Gesetz geschiedene Vorgänge in einen einzigen Stückablauf zu bringen: die uns ganz persönlich treffende Realität des nazistischen Judenmordes samt dem schonungslos dargestellten und ebenso historisch dokumentierbaren Ja, das der latente Spießerantisemitismus dazu auch außerhalb des „Reiches“ sprach. Zum zweiten den beispielhaften Lehrsrückfall der Individual-und Gruppenpsychologie, der den Vernichtungshaß gegen den jeweils „anderen“ zum Gegenstand hat, einen Haß, der auch dann eigengesetzlich weitergeht, wenn seine realen Ansatzpunkte verändert sind, das Opfer also gar kein Jude ist.

Diese beiden Aspekte deutet er von einem dritten her: eben dem Judentum. Und hier liegt der ernste Fehler des

Stückes: Jude sein ist nicht nur eine gruppenpsychologische, sondern eine reli-giös-existentielle Wirklichkeit. Man kann nie und nirgends zum Juden „gemacht“ werden noch Jude „werden“ wollen. Das Mysterium dieses einmal und gemäß apostolischem Zeugnis für immer auserwählten Volkes entzieht sich der soziologischen Ausdeutung. Hitlers Judenmord war eine mit politischer Erklärung nicht allein verständlich zu machende Realität. Frischs Exempel ist wegen dieser Einzigartigkeit eben doch kein Exempel. Daß er das Stück trotzdem schrieb, der Trägheit und Selbstgerechtigkeit der „Andorraner“ jenseits und diesseits der Schweizer Grenze mitten ins Herz, ehrt seinen sauberen Willen; daß es Direktor E p p mit wirklicher Hingabe an seinem Volkstheater, dem geistig bedeutsamsten Haus des heutigen Wien, inszenierte, ehrt diesen in gleicher Weise. Was nach diesem Abend als Frage offenblieb, geht zu Lasten einer im Werk selbst liegenden Inkonsequenz. Wer hatte nun recht: Rudolf Schneider-Manns Aus symbolisierendes Bühnenbild oder die überzeugende, naturalistische Charakterisierungskunst der Volkstheaterschauspieler, die sich besonders bei Rudolf Strobl (Soldat), Viktor Gschmeidler (Doktor), Ludwig B 1 a h a (Wirt) zeigte? Oder war vielleicht doch Hans W eicker, der expressionistische „Jemand“, auf dem richtigen Wege? Bei den beiden Hauptgestalten, dem Andri Hans Joachim Schmiedels und der Barblin (Gudrun Erfurth), ging der Riß mitten durch. Beide waren in ihrer Art mit überzeugender Ambition bei der Sache. Was ihm an allerletzter sprecherischer Intensität fehlte, hatte sie in etwas zu reichlichem Maß. Ganz aus einem Guß und in beiden Bereichen gleichcmaßen daheim: Heinrich Trimbur (Lehrer), und ihm kaum nachstehend: Joseph Hen-drichs (Pater). Ein vom Publikum mit Recht als erregend und bedeutend . gefeierter Abend.

*

Mit unermüdlichem Eifer kämpft die „Tribun e“ für die Gegenwartsdramatik. Bei Heinz Zechmanns „Haupt-

mann Radin“ lohnte sich diese Ambition, die auch in Norbert Kammils sehr konzentrierter Regieführung zum Ausdruck kam, durchaus. Dieser Kärntner hat zum „Eisernen Vorhang“ ein sehr persönliches und keinesfalls klischeehaftes Verhältnis. Seine Figuren bewegen sich also nicht im rein theoretischen Niemandsland. Im Gegenteil: sie haben die kalten Gipfelregionen präziser weltanschaulicher Klärung, auf die es hier allerdings doch etwas mehr ankäme, noch nicht ganz erreicht. Um so deftiger lassen sie sich charakterisieren, läßt sich das gefühlsmäßige Detail dieses Geschehens um die innere Reifung eines im totalitären Staatsdienst stehenden Offiziers, den Walter

Scheuer recht glaubhaft machte, ausspielen. Von den drei Frauen ist Elfriede Lutz die elementarste Begabung.

Gegen dramatisierte Illustriertenromane ist an sich nicht viel einzuwenden. Aber warum muß man deswegen ein auf literarische Qualität bedachtes Kleintheater wie das der Josefstadt im Konzerthaus bemühen? Gewiß: es ist immer reizvoll, Elfriede I r r a 11 auf der Bühne zu begegnen, auch Michael Hei tau hat sich überraschend zum Charakterdarsteller weiterentwickelt. Und Erik Frey bewies, daß er nicht nur Dialog sprechen, sondern auch Dialog arrangieren kann. Aber gab es für all dies kein anderes Beweisobjekt als Joachim Wichmanns zusammengemixte Kitschgeschichte „Der Feigling und die Tänzerin“? r

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