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Zwischen Brenner und Salurn

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SÜDTIROL. Versprechen und Wirklichkeit. Herausgegeben von Wolfgang Pfaundler. Wilhelm- Frick-Verlag, Wien. 511 Seiten, 2 Kartenskizzen. Preis 250 S.

Es ist schwer, gestehen wir es uns nur ein, über ein Thema wie Südtirol mit kühlem Kopf zu schreiben und zu referieren. Wenn man, wie ich, erst im vorigen Sommer das dreigeteilte Land durchreist hat, immer die unsinnige geographische Form vor dem geistigen Auge; wenn man vor den Amtsgebäuden südwärts vom Brenner steht, wenn man die Kinder singend über die Wiesen zur Mahd gehen sieht, wenn abends in den Tälern die blauen Schatten dämmern und die Felszacken rot aufglühen wie geronnenes Blut: dann ist es zu begreifen, daß in das Gespräch über Südtirol, das seit 40 Jahren nie abgerissen ist, sich immer wieder reine Gefühlsinhalte drängen. Vierzig Jahre: eine neue Generation" ist herangewachsen und wartet noch immer auf die Respektierung der Menschenrechte jenseits von Nation und Sprache. In diesem Augenblick nun, da erneut die Diskussion über den Pariser Vertrag aufflammt, frommt beiden Seiten die Nüchternheit des Wissenschaftlers. Wer erwartet, in diesem vorliegenden Sammelwerk, das man als Handbuch schlechthin anerkennen muß, ein italienisches Sündenregister zu finden, täuscht sich. Und in der Tat: für ein Gespräch zwischen Völkern und über Völkerrechte muß die deftige, Situation.,:,įn gedrängter Form axu- sammengestellt werden. Für jedes Sachgebiet der 71 Abschnitte in zwölf Kapiteln wurde der zuständige Fachmann gefunden. Wir nennen nur die Namen: Gschnitzer, Herre, Volgger, Reut-Nicolussi, Tinzl, Benedikter, Noldin, Hochwürden Ferrari, Magnago, von Fioreschy, Kolb, Gatterer, Dietl, Wid- moser und Stanek. Ueberdies dienlich sind die statistischen Daten, obschon es nicht verschwiegen werden kann, daß dem statistischen Zentralamt in Rom sachliche Erhebungen Vorbehalten sind und daß es im Herbst 1955 sogar einer von den Landtagen beider Provinzen (Bozen, Trentino) beauftragten Kommission verboten wurde, statistische Fragebogen an die Gemeinden zu verschicken, was offensichtlich als Ausspähung betrachtet wurde. Wichtig sind die vollständigen Vertragstexte (auch wirtschaftlicher Abkommen, wie jenes über den Warenaustausch Südtirol—Trentino und Nordtirol—Vorarlberg von 1957). Ueber das Pressewesen in Südtirol finden wir ebenso Auskunft wie über Wahlergebnisse, Ortsnamen, Bevölkerungsverteilung und soziologische Gliederung, religiöses Leben, Bildungswesen. Sollte man glauben, daß fünfzig Beispiele von Schulorten geliefert werden, in denen die Zahl der italienischen Schüler fünf nie überstieg, daß es sogar Orte mit italienischen Schulen für ein Kind gibt — was verdächtig an die alte Tschechoslowakei erinnert! Wie aufmerksam der Stoff zusammengetragen wurde, kann man unter anderem auch daraus ersehen, daß dem Herausgeber eine „Randbemerkung zur Woche“ in unserem Blatte (7. Dezember 1957) nicht entgangen ist, worin die Stellung Oesterreichs zwischen den Adriahäfen und jenen der Nordsee beleuchtet wurde. Zusammenfassend kann man urteilen — was auch der Augenschein lehrt —, daß sich das soziale Bild Südtirols seit der Zugehörigkeit zu Italien entschieden zu dessen Gunsten geändert hat. Vorher hatten beide Volksgruppen einen gleichen Anteil am sozialen Gefüge; seit 1918 wurde die deutsche Bevölkerung immer mehr aus den höheren und bürgerlichen Schichten verdrängt.

Das Buch sei allen Oesterreichern zum eingehen- idėiii Studium und zur richtigen Fundierung vörftlf- teilen empfohlen.

SÜDTIROL. Gestalt und Schicksal. Von Heinrich Klier. Verlag „Das Bergland-Buch", Salzburg. 215 Seiten, 30 Abbildungen. Preis 72 S.

Dieses graphisch geschmackvoll ausgestattete Buch, dem eine gute historische Fundierung (sehr gelungen die literargeschichtliche Seite) nachzurühmen ist, bezieht seine Wirkung auf den Leser von einer Art poetischer Einstimmung und unmittelbarem Erleben. Statt trockener Reisehandbücher ist es der Begleiter in das Land zwischen Brenner und Salurn.

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