"Du sollst dir kein Kultbild machen "

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Gebeugt über ihr Handy, das zum kleinen Tempel geworden ist: Dieses saugt mit seinen unzähligen Bildern die Menschen aus ihrer eigenen Gegenwart geradezu ab. Ein Plädoyer wider die alltägliche Idolatrie.

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Gebeugt über ihr Handy, das zum kleinen Tempel geworden ist: Dieses saugt mit seinen unzähligen Bildern die Menschen aus ihrer eigenen Gegenwart geradezu ab. Ein Plädoyer wider die alltägliche Idolatrie.

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Es ist unübersehbar: Religiöse Einstellungen und Ausdrucksformen haben sich pluralisiert. Die Bindekräfte der großen Religionssysteme schwinden weltweit. Um deren Relevanz wiederzugewinnen, kann man entweder versuchen, etwas Entscheidendes aus dem Kern der jeweiligen Religion aufzunehmen und eindringlich zu bezeugen, wie Papst Franziskus es macht, oder auf Denunziation und Terror setzen und die vernichten, die man als Gegner identifiziert hat.

Beiden Wegen liegt eine ähnliche Wahrnehmung zugrunde: Religiöse Haltungen sind aus den Religionen abgewandert. Sie holen sich ihre Inspiration längst aus anderen Quellen, meist aus scheinbar säkularen. Doch diese erweisen sich als massiv religiös. Ihre Mittel sind uralt, ihr Einsatz heute flächendeckend: Bilder.

Virtuell generierte Bilder decken heute einen Gutteil alltäglicher Wahrnehmung ab. Dass sie mehr sind als bloße Bilder, zeigt sich an den Haltungen vieler Menschen. Ob im öffentlichen oder im privaten Raum - überall sieht man Menschen in Haltungen, die genau denen betender Menschen gleichen: Diese beugen sich über ein Buch, dessen bewusst, dass sie mit dem göttlichen Geheimnis zu tun bekommen haben. Genauso sehe ich es bei vielen Menschen heute auch. Gebeugt über ihr handliches Wunderwerk - das Handy, das zum kleinen Tempel geworden ist -, saugt dieses sie mit seinen unzähligen Bildern aus ihrer eigenen Gegenwart geradezu ab. Tendenzieller Verlust der Gegenwart: Es ist der intensive Bann dieser Bilder, der eine ungeheuer attraktive Zugkraft entfaltet, eine Ergebenheit, eine radikale Fokussierung, eine Hingabe, eine alltägliche Idolatrie.

Mahnung aus der biblischen Tradition

Man wird erinnert an eine alte Mahnung, die für Menschen der biblischen Traditionen heute einen scharfen Klang annimmt, an das sogenannte Bilderverbot.

Dieses ist eingefasst in die Forderung, sich keine Götzen zu bilden, um vor ihnen dann in die Knie zu gehen. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Kultbild machen , keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. (Dtn 5,7-9).

Auf die Wirkungen solcher widergöttlichen Bilder haben die Rabbinen hinwiesen. Der Mensch wird Opfer ihrer gefährlichen Einladung: "Der Götze hat Wohlgefallen an dir gefunden, komm und lass dich ihm schlachten"(Sanh. 63b). Menschen werden liquidiert, Kälber geküsst.

Mühelos lässt sich das auf die Gegenwart umlegen. Dem Bilderrausch verfallen, merkt man kaum noch, wie man die in ihnen fingierten, durchwegs ökonomisierten Werte mit religiöser Hingabe umfängt und gleichzeitig diese Werte Menschenmassen auslöschen, direkt oder indirekt. Diese üppige Bilderwelt schafft, wenn man ihr nicht widersteht, eine götzenhafte Totalität. Ihr Effekt war zu allen Zeiten der gleiche. Die Faszination der Bilder vernebelt den Geist und legt kaum fühlbare Ketten an, die, werden sie gefühlt, dennoch wie ein Schicksal hingenommen werden. Das Schicksal jedoch war stets der Gegenpart zum Gott Israels. Denn der Glaube an ihn steht für Befreiung: Befreiung aus dem goldenen Sklavenhaus Ägyptens, das heute im Glanz endloser Bilderketten zugegen ist.

Es geht nicht darum, in terroristischem Gehabe diese Entwicklungen zu zertrümmern. Es geht darum, mit ihnen so leben zu lernen, dass man sie nutzt, ohne ihnen zu verfallen. Das Bilderverbot mit seiner Unterscheidung zwischen Gott und Götzen ist nicht überholt. Es bleibt ein Gebot zugunsten der Menschen.

Die Faszination der Bilder vernebelt den Geist und legt kaum fühlbare Ketten an, die wie ein Schicksal hingenommen werden.

Das biblische Bilderverbot mit seiner Unterscheidung zwischen Gott und Götzen ist nicht überholt. Es bleibt ein Gebot zugunsten der Menschen.

Livestream Das Symposium "Die neue Macht der Bilder" läuft am 4. Okt., 17.00 Uhr, auf facebook. com/diefurche

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