Schlusslicht-Effekt

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Österreich hat immer noch keinen frei zugänglichen Fernsehsender. Jetzt entsteht in Wien solch ein "Offener Kanal". Vor dem Start gibt es aber Reibereien.

2003 könnte der erste Offene Kanal Wiens Medienszene bereichern" titelte die Wiener Zeitung im August 2002. "Frühjahr 2005: Offener Fernsehkanal für Wien" hoffte das Branchenblatt Extradienst im Juli dieses Jahres. "Wir sind bereit" betitelte die "Plattform Offener Kanal" eine Pressekonferenz vom Dienstag. Und "etwa im Juli 2005" meint der Wiener Publizistikprofessor Thomas A. Bauer, Mitglied des Herausgeberverbandes des Offenen Kanals, könne man mit einem regulären Start rechnen.

Nicht die städtische Abwasserentsorgung ist hier Objekt so unterschiedlicher Zeiteinschätzungen. Ein "Offener Kanal" ist ein Fernsehsender, der Bürgern zur Publikation ihrer Anliegen und zum Ausprobieren des Mediums frei steht. Im Land der unbegrenzten Meinungsäußerung, den USA, ist der "public access", der öffentliche Zugang zu Fernsehkanälen, eine direkte Umsetzung der in der Verfassung rechtlich zugesicherten Meinungsfreiheit. Nachbar Deutschland bietet seit den siebziger Jahren die Möglichkeit eines "Community TV", etwa hundert Kanäle im gesamten Bundesgebiet. Etwa 25 Kanäle haben die Niederlande - einzig der Nachzügler Österreich bemüht sich erst seit kurzem um Anschluss in diesem Bereich.

Alle wollen

Eine von der Gemeinde Wien in Auftrag gegebene Studie untersuchte, ob Möglichkeiten und Interessen bestehen, so ein Projekt in Wien durchzuführen. Im Sommer 2002 stand fest: Der Bedarf ist da, der Wille der Gemeinde ebenso - Budgetzusagen gab es bald. Nun fehlte noch der rechtliche Rahmen, doch die Euphorie war bereits groß. Der "Arbeitskreis Offene Kanäle Österreich" verlangt schon seit 2000 einen offenen Fernsehkanal, die daraus entstandene "Plattform Offener Kanal" hat sich Ende März 2004 als Verein konstituiert und filmt seit mittlerweile zwei Monaten für den bislang noch virtuellen Kanal.

Acht können

"Wir haben als mediales Schlusslicht den Vorteil, Fehler vermeiden zu können, die in Deutschland in den Siebziger Jahren geschehen sind", möchte Christian Jungwirth, Fachmann für Freie Medien an der Fachhochschule St. Pölten, die Situation positiv sehen. In Wien versucht man von politischer Seite, zwar Freiheit zu geben, aber doch eine gewisse rechtliche Verantwortlichkeit zu sichern. Vergangenen Herbst wurden daher acht Medienleute, darunter Jungwirth, der Publizistikprofessor Thomas A. Bauer, Armin Thurnher (Falter) und Filmemacher Virgil Widrich gefragt - und diese acht sind nun seit Jänner in einem Herausgeberverein zusammengeschlossen. Als offizielle Fördernehmer sind sie damit beauftragt, die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für einen offenen Fernsehkanal zu schaffen - was seine Zeit dauert.

Das wiederum passt der "Plattform Offener Kanal" nicht: In ihr sind etwa 60 Gruppen versammelt, von nationalen Projekten und Gemeinschaften über konfessionelle, künstlerische und sportliche Vereinigungen. Dabei alle Interessen unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach - und erst recht nicht, wenn noch keine Möglichkeit besteht, diese Interessen adäquat zu vertreten. Bevor das von der Gemeinde Wien zugesagte Budget - jährlich 980.000 Euro, vorerst drei Jahre lang - verteilt werden kann, muss der Herausgeberverein Programmintendanz und wirtschaftliche Geschäftsführung ausschreiben. Dies soll nun im September geschehen.

Zwischen dem Herausgeberverein und der Plattform ist wohl nicht so schnell ein Konsens zu finden. Da wird seitens der Plattform um Wochen gefeilscht, wer früher da war - denn die Plattform schöpft aus dem "Uns gibt es schon viel länger!"-Argument einen Teil ihrer Legitimation. Armin Thurnher, in seiner Eigenschaft als Mitglied des Herausgebervereins befragt, reagiert unwillig: "Wer die Leute von der Plattform sind, weiß ich nicht, es interessiert mich auch nicht, und aus meiner Sicht gibt es hier nichts zu verhandeln." Im Ton milder antwortet Thomas A. Bauer: Die Betriebsgesellschaft wird erst entstehen, wenn die Geschäftsführung fix ist. Und dann kann über Programm, Budgetverteilung, Standorte und Inhalte gesprochen werden.

Und sie tun es

Inhaltlich scheint eine Einigung gar nicht fern: Die umfangreiche Machbarkeitsstudie, auf die beide Gruppen sich gerne berufen, schlägt verschiedene Formate vor. Ein Magazin mit dem Arbeitstitel "People, Places, Culture" könnte etwa als Bindeglied zwischen den teilnehmenden Gruppen wirken und von den regelmäßig eine Sendung gestaltenden Produzenten jeweils kurze Beiträge enthalten.

Der Offene Kanal wird in Wien über das Kabelnetz zu empfangen sein - doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Den Bürgern, die mitarbeiten möchten, sollen Schnittplätze und Kameras zur Verfügung stehen, zur Herstellung einer gewissen Professionalität wird es Workshops und Schulungen geben, und während der Produktion der Beiträge soll ein Techniker zur Verfügung stehen. Und: Über den Namen des Senders wird auch noch zu reden sein.

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