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Kunst in Österreich seit 1945

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AUFFORDERUNG ZUM MISSTRAUEN. Herausgegeben Ton Gerhard Fritsch und Otto Br eich a. Residenzverlag, Salzburg. 673 Seiten. S 375.—.

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AUFFORDERUNG ZUM MISSTRAUEN. Herausgegeben Ton Gerhard Fritsch und Otto Br eich a. Residenzverlag, Salzburg. 673 Seiten. S 375.—.

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Ist eine Bestandsaufnahme des künstlerischen Schaffens in Österreich seit dem Jahre 1945 jetzt schon möglich? Diese Frage werden sich auch die beiden Initiatoren dieses Bandes, Fritsch und Breicha gestellt haben, ehe sie die Herausgabe eines solchen Kompendiums in Angriff nahmen. Die beiden Herausgeber bewältigen diese Aufgabe auf ihre Weise. Hier wird nicht zusammengefaßt, nicht periodisiert und klassifiziert, sondern lediglich präsentiert. Hier kommen die verschiedensten Stimmen aus allen Bereichen der Kunst zu Wort unter der Devise: Zuhören ist alles. Diese Devise mag ihre Berechtigung haben. Denn so manchem, der eine Kontinuität’zwischen der großen Tradition österreichischer Literatur, deren Kulmination gespenstischerweise ja bis in die unmittelbare Gegenwart reicht, und der künstlerischen Avantgarde sucht (und wahrscheinlich vergeblich sucht), wird bei der, Lektüre dieses Bandes eines bewußt! werden: Daß es in einem in seiner1 territorialen Ausdehnung geradezu amputierten Land, dessen geistige Nabelschnur sich nur mühsam zu lösen scheint aus dem Nährgrund des alten Vielvölkerstaates, zu einer eigenständigen künstlerischen Entwicklung kommen konnte, kann wohl als eines jener vielen österreichischen Wunder gelten, von welchen die Umwelt immer wieder staunend Kenntnis nimmt. Freilich waren an diesem Wunder auch maßgeblich einzelne Persönlichkeiten beteiligt, wie etwa Otto Mauer für die bildende Kunst und Hans Weigel für die Literatur.

Wie komplex sich die Entwicklung nach 1945 darstellt, mag allein die Tatsache erhellen, daß Doderers Dämonen 1956 und Güterslohs „Innerer Erdteil” 1966 erschien. Für beide Autoren ist die Sprache nicht Medium, sondern Kultur schlechthin, sie erhebt den Anspruch auf Totalität, ist der Brennpunkt der moralischen und geistigen Kräfte des Menschen. Einem solchen Makrokosmos höchster Sprachkultur steht der Mikrokosmos einer nach allen Richtungen zersplitterten Moderne gegenüber. Gibt es etwas, das die Aichinger, Mikl, Artmann und Handke verbindet? Ist es die nach Aichinger zitierte Aufforderung zum Mißtrauen, ist es der Wille zum Experiment, ist es der Protest gegen eine verplante Wirklichkeit? Darauf gibt es wohl noch keine Antwort. Fast vermeint man, angeregt durch Güterslohs humoristische Frage „Scheint kein Mond mehr in der Kunst?” das milde Glänzen einer neuen Romantik über der Prosa Jeanmie Ebners oder HC Artmanns wahrzunehmen, bei der die volkstümliche Fabel ebenso Pate steht, wie der Surrealismus und die experimentelle Lyrik.

Alles in allem, ein interessanter, ein informativer Band, der größte Beachtung verdient.

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