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Von der Balance zur Europa-Führung?
Die Engländer haben immer in ihrer Geschichte den europäischen Kontinent „in Balance zu halten“ versucht. Aus dieser Tradition heraus und infolge der mangelnden Voraussicht, die sie seit den dreißiger Jahren charakterisiert, haben sie die einmalige Gelegenheit der Organisierung Europas unter britischer Führung, die sich ihnen nach dem zweiten Weltkrieg bot, vertan. Man denke an Churchills hochtrabende Rede, in Zürich 1947, der selbst dann keine Taten folgten, als er nach einem Interregnum der Labour Party wieder die Regierung übernahm. Trotzdem haben sich die Engländer stets bemüßigt gefühlt, sich dem Kontinent gegenüber als Präzeptor aufzuspielen. Dazu kommt, daß, während das Kriegsbeil zwischen Frankreich und Deutschland begraben ist, in England antideutsche Ressentiments stark sind.
Würde sich England, wenn es in den Gemeinsamen Markt hineingelassen wird, der französischen Führung fügen? Würde es nicht mit amerikanischer Hilfe darangehen, selbst die Führung zu übernehmen? Man muß de Gaulle zubilligen, daß er nicht nur ehrlich daran glaubt, besser imstande zu sein, Europa zu führen als Mr. MacMillan oder ein seit Gaitskells Tod noch nicht profilierter Arbeiterparteiführer, sondern damit recht hat.
Weiterhin muß man die wirtschaftlichen Momente berücksichtigen, die letzten Endes doch die stärksten sind. Sollte Frankreich seine Landwirtschaft gefährden, weil England zwar nach Europa herein, aber anderseits seine Commonwealth-Bindungen nicht lösen will? Wie würden sich die englischen und deutschen Wirtschaftsinteressen auf industriellem Gebiet arrangieren?
Man sollte diese Imponderabilien in den Vereinigten Staaten mehr berücksichtigen. Man sollte behutsamer vorgehen und eine unaufhaltsame Entwicklung nicht zu überstürzen suchen. Die Vereinigten Staaten sollten sich gegenwärtig überhaupt nicht für Englands Beitritt stark machen, meint der schon erwähnte Henry Kissinger im Gegensatz zu den Anschauungen der Regierung und der öffentlichen Meinung.
Es wird das Fernziel einer atlantischen Gemeinschaft nicht nähergebracht, wenn man Frankreich mit einem Knüppel bearbeitet. Geduld und Konzilianz sind notwendig, und um so mehr, je weniger de Gaulle die letztere beweist. An Geduld fehlt es ihm dagegen bestimmt nicht.
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