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Abend in Lindabrunn

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Am Waldhügel steht das große Haus. Es ist ein herrliches, aber eigentlich ein herrlich scheußliches Haus. Von drei Uhr nachmittags bis sechs Uhr abends ziehen die Wolken über das Haus am Hügel, sie fliegen über den Wald, werfen Schatten auf die gewaltigen Steine am Hang. Auf der Wiese summt eine Hummel, die braune Schlange kriecht über den Stein. Vor dem Haus weht die österreichische Fahne.

Im Wald wachsen allerlei Bäume. Vor allem Kiefer, Fichte, doch auch Linde und Eiche. Mähmaschine keucht über die gelben Felder. Die schwarzen Wolken drehen sich über das Haus. Der Stein lebt, die Wolke schwebt über den Hang, der Regen tröpfelt leise über die Dächer des nahen Dorfes im Talgraben.

Das sagte eine Statue - das sagte mir ein stilles Wort - die Statuen im Felde - verlassen wie du und fort -

Die Brücke erwies sich als morsch und stürzte zusammen - Reichsbrük- keneinsturz in Wien 1976.

Das Erdbeben erwies sich als stark und verwüstete die Landschaft-China 1976.

Die Bäume im Wald blieben still, verhalten in der Erwartung des Gewitters.

Es ist Abend geworden.

An der Ostseite des Hauses entstehen seltsame Geräusche, es sind die Ventilatoren, Motoren und Turbinen, die sich wie besessen drehen, der Lärm wird immer unerträglicher. Die Schwüle erschwert das Atmen.

Und später wirst du trotzdem sagen, wundervoll sei diese Nacht gewesen, eine Spätsommemacht mit vielen hellen Sternen. Die Grillen hätten gezirpt. Es waren keine anderen Geräusche zu hören, wirst du sagen. Du warst draußen, vor dem Hotel, am Waldhang, und hast das Konzertieren in der Sommernacht als „schön“ empfunden. Die Sterne, der Mond, alles hat ein abgeschlossenes Stimmungsbild abgegeben,

daß du mit „wundervoll“ umkreisen kannst.

„Wundervoll“, wirst du sagen, indem die große Maschine das Wasser aus dem Schwimmbecken pumpt und reinigt, so daß das Haus von dieser starken Kraft der mechanischen Anstrengung dröhnt und vibriert.

Indessen sitzen die Gäste im Femseh- raum. Ein Blau sehen sie auf dem Bildschirm, ein Blau, das sich über die Erde ergießt. Ein Engel wandert mit einem Reisekoffer über den Waldweg, und die Grillen zirpen, und die Gäste sitzen im Fernsehraum und sehen nicht nur den Engel, sondern auch Flugzeuge, Autos, Schiffe, Kühe, Hunde und viele schöne Mädchen, also’eine Welt, in der Armut, Krankheit und Tod keine Rolle spielen.

Es ist Abend geworden. Durch die Bäume streicht der Wind, und die Sterne sind grell.

In der Bahnstation Enzesfeld-Linda- brunn fahren die Züge ein und aus, viermal täglich, ein und aus, die Züge nach Leobersdorf und Hainfeld, nach St. Pölten und Kaumberg, sie dröhnen durch eine schwarze, von steilen Hügeln und Wald beherrschte Landschaft.

Wenn du beim günstigen Wind vor dem großen Haus stehst, hörst du plötzlich die verlassenen Pfiffe dieser Züge in der Dämmerung. Und dort sind auch die mächtigen Fdbrikschomsteine, die Industrie-Eisenbahn, Patronenfabriken und Patronentransporte, Sprengstoffproduktionen unten in der Ebene, vor den großen Wäldern und vor den großen Steinen, über denen jetzt dieses neue Haus steht und herrscht. Und du erinnerst dich, daß der Steinbruch dort in der Dämmerung das ganze Land mit Stein versorgt hat, die Wiener Wasserleitung und das Wiener Parlament; und die italienischen Steinbrucharbeiter haben damals, weit zurück in der Vergangenheit, schon in der Dunkelheit des Fast-Vergessens, die Heimischen gelehrt, wie man mit Stein umgeht, wie man aus ihm etwas Nützliches macht.

Beim Ostwind hörst du die Pfiffe der Industrielokomotiven ganz deutlich, und beim Westwind hörst du die Musik vom Hügel beim Steinbruch, wo die riesigen Steine der Meister stehen, die Steine, die jetzt, in der Dunkelheit, die Landschaft, in der vor fünfzig Jahren die zähen Schafe weideten, mit hohlen schwarzen Augen der Einsamkeit beobachten.

Dort unten, wo keine Linde mehr steht, sprudelt noch immer die starke Wasserquelle, der Brunnen, eine Seltenheit in der Landschaft, in der die Frauen das Wasser früher in Eimern auch mehr als eine halbe Stunde weit in ihre einsamen Gehöfte, zerstreut an den Waldhügeln, getragen haben. Und die schwarzen Pecher haben zotige Lieder gesungen, in einer Landschaft, in die fast kein Weg geführt hat, in der nur der Wind durch den Herbstwald gewütet hat.

Im Wald wachsen allerlei Bäume. Vor allem Kiefer, Fichte, doch auch Linde und Eiche. Mähmaschine keucht über die gelben Felder. Die schwarzen Wolken drehen sich über das Haus. Der Stein lebt, die Wolke schwebt über den Hang, der Regen tröpfelt leise über die Dächer im nahen Dorf.

Das sagte eine Statue — das sagte mir ein stilles Wort - wir Statuen im Felde — verlassen wie du und fort -

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