6885321-1979_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Abrüsten müssen alle

Werbung
Werbung
Werbung

Im Juni 1960 sagte Adlai Stevenson, ein prominenter Vertreter der amerikanischen Demokratischen Partei und einstiger Präsidentschaftskandidat in den USA, über den Rüstungswettlauf folgendes:

„Wenn wir unsere Forschungen auf diesem Gebiet fortsetzen, kann der wissenschaftliche Fortschritt im Jahre 1980 oder vielleicht schon früher dazu führen, daß man in der Lage sein wird, eine absolute Explosion zu vollbringen, bei der ein Knopfdruck genügt, um den ganzen Erdball zu verheeren. Das wird ein Super-selbstmord sein, der mit allen Supermordmethoden Schluß macht.“

Seit dieser Erklärung Stevensons sind 19 Jahre vergangen. Kann man heute behaupten, daß er seine Vision von H. O. Wells übernommen hat? Nein. Er hatte recht. Heutzutage sind so viele nukleare Superwaffen und deren Träger gehortet worden, daß ein „Knopfdruck“ das Leben auf unserem Planeten tatsächlich sehr schnell auslöschen kann.

Das bestreiten heute weder die Wi-senschaftler, Militärs und Politiker noch - in der Regel - einfache Menschen. Solche Feststellung ist zu einer Binsenwahrheit geworden.

Man darf mit der Abrüstung nicht mehr zögern. Das wäre das Erste.

Zweitens: Abrüsten müssen alle. Und das ist ebenfalls klar. Niemand darf außerhalb des Abrüstungsprozesses bleiben und seine aggressive Kriegsmaschine, insbesondere die Depots der Massenvernichtungsmittel, beibehalten; niemand, wer es auch sein mag, und auf welchem Kontinent sein Staat auch liegt.

Abrüsten müssen die kapitalistische, die sozialistische und die „dritte“ Welt. Sie müssen dabei im gleichen Tempo und in Normen, die jedem Land entsprechen, abrüsten. Hier kann es keine Ausnahmen keine Privilegien geben. Angesichts ihres eigenen Volks und den ganzen Welt müssen alle bei der Verhütung der weltweiten Katastrophe mitwirken.

Drittens: Im Zuge der Abrüstung muß ein weiteres Hauptprinzip Anwendung finden: die Gleichberechtigung der Seiten. Die gleiche. Sicherheit für alle! Kein Staat darf in seinen Interessen geschmälert, der Gefahr eines Angriffs ausgesetzt werden. Sonst wird früher oder später alles umsonst sein.

Viertens: Man muß von Anfang an mit dem Wichtigsten beginnen: mit dem vollständigen Verbot der Kernwaffen, jener Waffen, die die ganze Welt vernichten können. Man muß die Kernwaffen überall, in jedem Teil des Erdballs, unter der Erde, unter Wasser, in der Luft und im Weltraum beseitigen. Man muß jede solche Waffe beseitigen, ob sie nun strategisch oder „taktisch“ heißt, wie heute im Westen die Neutronenbombe tituliert wird. Man darf auch nicht vergessen, daß ohne das vereinbarte Verbot der Atomwaffen eine zuverlässige Vereinbarung über die Begrenzung oder über das Verbot herkömmlicher Rüstungen kaum denkbar ist.

Fünftens: Nicht nur Präsidenten, Minister, Parlamentsabgeordnete und Journalisten müssen unverzüglich die Frage der Abrüstung aufwerfen. Jedermann, ob Arbeiter, Bauer, Angestellter, Intellektueller, Student, Geistlicher, Hausfrau oder Schüler, muß jetzt diese Frage mit nicht nachlassender, unerschütterlicher Tatkraft stellen.

Auf dem Spiel steht das Schicksal eines jeden von uns. Man darf diese Aufgabe nicht allein den Regierungen überlassen. Die Weltöffentlichkeit konnte weder den Ersten noch den Zweiten Weltkrieg verhüten. Wenn die Menschheit nicht imstande ist, ihr gewichtiges Wort zu sprechen, um den Dritten zu verhüten, den Rüstungswettlauf zu stoppen, wäre sie dann wert, zu überleben? Wird sie sich dann nicht schämen müssen, sich Menschheit zu nennen? Wir müssen endlich verstehen, daß unser Schicksal in unseren Händen hegt.

Noch etwas muß gesagt werden, sonst zeichnet sich das Abrüstungsproblem nur zur Hälfte ab: Erwähnt ist der Standpunkt derjenigen, die dafür sind, unerwähnt bleiben diejenigen, die dagegen sind, sowie warum sie dagegen sind.

Es gibt Kreise, denen die Abrüstung unvorteilhaft erscheint, und die ihr Möglichstes tun, um sie zu vereiteln. In der heutigen Welt kann man drei Gruppen unterscheiden, die so handeln.

Erstens sind es diejenigen, die die Meinung vertreten „lieber nicht existieren als koexistieren“. Ihrer Meinung nach wäre der Dritte Weltkrieg die einzig richtige Methode, die sozialistische Menschheit zu besiegen -um jeden Preis zu besiegen.

Zweitens sind es Kreise für die das Wettrüsten wohl, das größte und gewinnbringendste Geschäft in der ganzen Geschichte ist. Es ist kein Geheimnis, daß die Massenvernichtungswaffen manchen Leuten Jahr für Jahr Milliarden Dollar Profit bringen.

Drittens sind es diejenigen, die gleich ihrem Propheten Mao Tse-tung im Untergang einer „Hälfte der Menschheit“ während eines Atomkrieges nichts Schreckliches sehen („In einem halben Jahrhundert oder in einem Jahrhundert wird die Bevölkerung wieder um mehr als die Hälfte anwachsen“, meinte der Begründer des Maoismus).

Was hier geschrieben steht, ist meine aufrichtige Meinung. Ich bin kein Christ, sondern Marxist. Aber vor allem bin ich in ein Mensch. Und die Christen sind ebenso Menschen. Werden wir einander in der Frage „Sein oder nicht sein?“ verstehen? Ich glaube, daß selbst Shakespeare in diesem Fall antworten würde, daß wir es können. Alle meine Gesinnungsgenossen sind für das Leben!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung