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Altes Testament in neuer Sicht

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Die jüdisch-christliche Bibelwoche feierte diesen Sommer im Hedwig- Dransfeld-Haus (HDH genannt, den FURCHE-Lesern von früheren Berichten ein Begriff) ihr zehnjähriges Jubiläum. Aus England, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich und Israel kamen die Teilnehmer nach Bendorf am Rhein, um sich miteinander auf ihr gemeinsames Menschsein zu besinnen. Christen und Juden suchten und fanden im Alten Testament einende Bande.

Die stete Steigerung der Besucherzahl beweist das wachsende Interesse an dieser menschlichen Begegnung, denn eine .solche ist »es In ėr’ster ‘Linie. Studenten und Rentner, Theologen, katholische und evangelische Pfarrer, orthodoxe und liberale Rabbiner eilten herbei, und alle waren bemüht, zum gegenseitigen Verständnis beizutragen. Sogar ein Muslim war erschienen und bezeichnete sich in einem launigen Referat als Salz in der jüdisch- christlichen Tagung.

Einige Fachleute bereiteten in viertägiger Marathonarbeit das eigentliche Bibelseminar vor und fungierten dann als Gruppenleiter. Im Vorjahr wurden charakteristische Kapitel aus dem Buch Josua durchgenommen. Da die Reihenfolge immer streng eingehalten wird, folgten heuer Abschnitte aus dem Buch der Richter.

Ein Schwerpunkt war die Königsfrage, die in dem Richterbuch durchwegs negativ behandelt wird. Gott ist König! Ein Mensch, der, vom Ehrgeiz getrieben, dieses Amt auf sich nehmen will, bringt dem Volk nur Unglück. Gideon, der große Richter, lehnt die Königswürde ab; jedoch Abimelech, der Sohn Gideons und seiner kanaani- tischen Magd, bringt seine siebzig Brüder um und läßt sich vom Volk zum König krönen.

Er ist der Dornbusch in Jothams Fabel von den Bäumen. Die guten fruchtbringenden Bäume lehnen es ab, über die anderen zu herrschen. Nur der nichtsnutzige Dornbusch, der im schnell auflodernden Feuer alle vernichten kann, nimmt die Königswürde an.

Doch das Hauptgewicht wurde auf die Frauenfiguren und ihren Einfluß auf das Schicksal der Männer gelegt. Die Tagungsleiter - Rabbiner Magonet aus London, der katholische Theologe Georg Evers aus Bendorf und der gute Geist des Hauses, Anneliese Debray - hatten mit besonderer Raffinesse die Kapitel herausgesucht, in denen Frauen entscheidende Rollen spielen,, sei es beherrschend-mitreißend wie die Richterin Debora, verführerisch und zerstörend wie Dalila oder zum unschuldigen Opfer verurteilt wie Jephtas Tochter.

Wer erinnert sich nicht Grimms Märchen, in dem der König gelobt, nach siegreicher Schlacht das erste Wesen, das ihm bei seiner Heimkehr begegnet, als Dankopfer darzubrin gen. Es war nicht der Hund, den er bei diesem Gelöbnis im Sinn hatte, es war seine Lieblingstochter. Auch bei Jeph- ta, dem Richter in Israel, der sein Volk von den feindlichen Ammonitern befreite, war es die Tochter, die ihm an der Schwelle des Hauses begegnete. Seine einzige Tochter! Sie wird dem Machtstreben ihres Vaters geopfert wie Iphigenie in der griechischen Tragödie der „Atriden“.

Wie seltsam berühren uns diese Menschen aus alter Zeit! Opfern wir nicht auch unsere Freunde um eines vermeintlichen Vorteils willen? Es rpuß ja nicht gerade am Opferaltar sęin. Doch .auch die Auslegung der Rabbinen hat etwas fursich* die sagen, Jephtas Tochter wurde nur zu dauernder Ehelosigkeit verpflichtet. Menschenopfer waren zwar in der heidnischen Umwelt gang und gäbe, doch schon Abraham wurde von Gott daran gehindert, seinen Sohn zu opfern. Und bei den Propheten wird deutlich ausgesprochen (Micha 6), daß Gott jede Art von Opfer ablehnt.

Auch Samson, der Gottgeweihte, wird ein Opfer seiner Gelüste. Die Liebe der Dalila geht ihm über alles, und er vergißt, daß er zu Großem berufen worden ist. Erst der blinde und verlassene Samson wird wahrhaft sehend. Er rettet sein Volk unter Hingabe seines eigenen Lebens.

Die faszinierendste Frau im Buch der Richter ist jedoch nicht die Verführerin Dalila, sondern die Richterin Debora, die prophetisch den Untergang des Feindes verkündet. Die Überlegenheit dieser Frau wird vom großen Feldherrn Barak empfunden, wenn er zu ihr sagt: „Wenn du mit mir gehst, werde ich gehen, ohne dich nicht.“ Es mutet uns eigenartig an, daß in diesen Zeiten, in denen noch nichts von Emanzipationsbestrebungen der Frauen zu hören ist, ein Mann, der als Held gefeiert wird, sich dem weiblichen Partner unterordnet.

Gespräche und Diskussionen vermittelten manche überraschende Einblicke. Nicht selten kamen unterschwellige Emotionen zum Ausbruch. Das krampfhafte Verlangen nach Bewältigung der Vergangenheit führte zu Aggressionen oder zu übertriebener Rücksichtnahme auf die Gefühle der Andersgläubigen.

Doch muß hervorgehoben werden, daß die Atmosphäre des Hauses die menschliche Begegnung fruchtbringend verlaufen ließ und es den Teilnehmern ermöglichte, auch die Gottesdienste in mitfühlender Gemeinsamkeit zu feiern. Auf christlicher Seite zelebrierten katholische und evangelische Pfarrer den Sonntagsgottesdienst gemeinsam und konsequent bis zur Einnahme des Abendmahls. Beim jüdischen Gottesdienst sah man zum ersten Mal einen orthodoxen Rabbiner mit den Reformrabbinern in der Kapelle des HDH. Und das könnte man fast als Wunder bezeichnen.

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