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Das Wunder von Bendorf

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Ökumenische Bibelwoche im wahrsten Sinn des Wortes: In der Kapelle des Hedwig-Dransfeld-Hauses (HDH) in Bendorf (Rheinland) sprachen evangelische Pfarrer, katholische Geistliche und englische Rabbiner gemeinsam das Vaterunser. Arabische, israelische, deutsche und englische Kinder stellten in Pantomimen Themen aus der Bibel dar.

1925 wurde in Bendorf das Hed- wig-Dransfeld-Haus vom Katholischen Deutschen Frauenbund gegründet. Anfänglich nur auf Mädchen- und Frauenbildung ausgerichtet, weitete sich seine Tätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr zum Zentrum internationaler ökumenischer Begegnung aus.

Seit dem Sommer 1969 finden alljährlich im HDH jüdisch-christliche Bibelwochen statt, zu denen auch muslimische Referenten eingeladen werden. In diesen neun Jahren ist es klargeworden, daß Juden und Christen, die guten Willens sind, eine gemeinsame Sprache finden können. In diesem Sommer wurde die Bibelwoche durch eine neue Dimension bereichert: Es kamen nicht nur - \yie bisher - Juden aus Israel; diesmal nahmen auch israelische, palästinensische und ägyptische Christen an der Bibelarbeit teil.

Anneliese Debray, seit 26 Jahren Leiterin des HDH, nahm, ermutigt durch die guten Kontakte, die sie in mühseliger Kleinarbeit in Ägypten und’Israel angeknüpft hatte, dieses Wagnis auf sich. Es stellte sich heraus, daß trotz divergierender Ansichten arabische Christen mit englischen Rabbinern und israelischen Alttestamentlern friedlich über das Thema „Versprochenes Land - Landnahme” sprechen konnten. Sogar in der Freizeit fanden die „verfeindeten Verwandten” zueinander. Es mutet fast wie ein Wunder an, daß ein Ägypter, der mit einer Palästinenserin verheiratet ist, mit einer Israelin Tischtennis spielte.

Bei den Bendorfer Bibelwochen wird chronologisch vorgegangen. Auf das Deuteronomium im Vorjahr folgte nun das Buch Josua. 138 Teilnehmer aller Altersstufen arbeiteten in acht Gruppen unter der Führung christlicher und jüdischer Theologen an ausgewählten Texten aus diesem Buch. Der Arbeit in Gruppen ging jeweils eine Einstimmung in den Tag voran, in der für die versammelten Teilnehmer ein Psalm in hebräischer, englischer und deutscher Sprache gelesen wurde. Vor der eigentlichen Tagung fand ein Expertentreffen statt, in dem das Buch Josua von allen Seiten beleuchtet und vor allem auf seine Bezüge zur Gegenwart hin untersucht wurde.

Die Texte wurden hebräisch und deutsch gelesen und vom theologischen, sozialpolitischen und sprachlichen Aspekt her durchgearbeitet. Immer wieder wurde an der Grausamkeit des Buches Anstoß genommen. Wie konnte Gott den Israeliten die Vernichtung der Einwohner als heilige Pflicht auferlegen? War der Verlust des Landes die Folge sündhaften Verhaltens seiner Bewohner? Mußten die Israeliten die Kanaaniter vernichten, um nicht vom Götzendienst in ihrer Mitte verführt zu werden? Wurde das Gelobte Land später von Nebukadnezar erobert und der Tempel zerstört, weil das Bündesvolk von dem einen Gott abgefallen war und nicht auf seine Propheten hörte? Oder ist dies nur eine spätere Deutung, um die blutigen Kriege zu rechtfertigen? Ist das damalige Gottesbild für uns überhaupt noch verständlich? Müssen wir, die wir an den Gott der Propheten und an das Neue Testament glauben, nicht den Gott Josuas als überwunden ablehnen?

Im letzten Kapitel stellt Josua das Volk vor die Wahl, Gott oder den Götzen zu dienen. Hier wird das Volk zur freien. Entscheidung aufgerufen. Gott hat sich im Menschen einen Partner geschaffen, nicht ein willenloses Objekt. Zwischen Gut und Böse kann, ja muß er sich entscheiden. Josua hat seine Wahl getroffen: „Ich und mein Haus, wir werden Gott dienen!” Er wird für würdig befunden, als Knecht Gottes zu sterben.

Der jüdische Tagungsleiter, Rabbiner Marcus sagte: „Das Buch Josua stimmt uns traurig mit seinen blutigen Kriegen, vor allem, weil es noch jetzt seine Gültigkeit hat. Doch der Aufruf Josuas zum Handeln in der Welt, und die Wandlung des Menschen vom Diener in einen verantwortlichen Partner Gottes, läßt uns wieder hoffen.”

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