6829258-1974_29_05.jpg
Digital In Arbeit

Atomteufel als Pappkamerad...

Werbung
Werbung
Werbung

Es war ein vierstündige“ Monsterspektakel im Hörfunk, ausgestrahlt über ö 1 und Linz-Regional. Und es war ein Staatsbegräbnis erster Klasse mit mehreren Leichen. Auf der Strecke blieb die Hoffnung, ein komplexes Problem, an dem sich nun einmal die öffentliche Meinung entzündet hat, in öffentlicher Diskussion wenn schon nicht klären, so doch wenigstens um ein Jota durchsichtiger machen zu können. Auf der Strecke blieben Ratio und Toleranz. Auf der Strecke blieb aber auch die naive Illusion, öffentliche Meinung sei dort, wo sie sich ohne Zutun der Medien spontan entzündet, eo ipso solider und luzider als die von den Medien, von Presse, Hörfunk, Fernsehen gegängelte öffentliche Meinung. Oder in einer noch immer aktuellen Terminologie: Echte öffentliche Meinung ist um nichts besser, ist eher dümmer und undifferenzierter als die „veröffentlichte Meinung“. Oder hätte man es besser machen, hätte man der vox populi eine bessere Ausgangsposition verschaffen können, sich zu artikulieren und artikulierend zu modifizieren?

Es ging um Pro und Kontra von Atomkraftwerken in Österreich ganz allgemein, im besonderen aber um jenes Atomkraftwerk, das in Niederösterreich errichtet wird und vor dem die im Raum Linz lebenden Oberösterreicher sich fürchten. Nur unheilbare Optimisten, deren Wohlmeinung über Expertenautorität an Fahrlässigkeit grenzt, können die Tatsache ignorieren, daß Leistungsreaktoren in unmittelbarer Nähe von Ballungsräumen nicht problemlos sind, und auch die Tatsache, daß der Atomstrom heute noch keineswegs jene saubere Energie ist, als die er sich ausgibt, sollte sich spätestens seit jenem Zeitpunkt herumgesprochen haben, an dem die schwedische Regierung ihr Atomstrom-Ausbauprogramm bis auf weiteres stoppte, um einerseits die mit Atomkraftwerken verbundenen Gefahren für die Umwelt zu untersuchen und anderseits wohl auch neue Entwicklungen im Reaktorbau abzuwarten.

Doch was geriet am vorletzten Freitag zwischen 20 Uhr und Mitternacht in des Hörers Ohr?

Das atomare Marathon begann mit dem Hörspiel „Todeszone“, das Friedrich Zauner nach dem Buch „Morgen holt uns alle der Teufel“ geschrieben hatte, und mit einem solchen Auftakt stand eine Diskussion über Pro und Kontra der Atomenergie unter keinem guten Stern. Denn das erwähnte Buch erschien erstmals Mitte der fünfziger Jahre und seine Mentalität ist bestenfalls die der fünfziger Jahre. Es vertritt eine Ideologie der Fortschritts- und der erbhofbäuerlichen Stadtfeindlichkeit, die sich aber im Zeitalter eines erwachenden Umweltbewußtseins naiveren Gemütern offenbar leicht als letzter Schrei verkaufen läßt. Dementsprechend fiel das Hörspiel aus, das der Diskussion voranging: Antiatomare Saubermänner fallen atomaren Dunkelmännern in den Arm und verhindern den Bau eines Atomkraftwerkes. Ein atomarer Dunkelmann aber ist jeder, der einerseits von der Sache etwas versteht und anderseits trotzdem ein Atomkraftwerk bauen will, da solches nur wider besseres Wissen möglich ist. Denn der Bau von Atomkraftwerken ist Leichtsinn, das hat der Autor beschlossen, und wer etwas anderes sagt, lügt. Oder irrt sich bestenfalls. Das Ganze dargeboten in Schulfunkmanier.

Worauf in der Diskussion selbstverständlich von Start weg nur aneinander vorbeigeredet wurde, und dies fast drei Stunden lang; aber die vom Diskussionsleiter, keinem Geringeren als Hörfunkchef Hartner, verfügte Ausdehnung der Sendezeit war zu begrüßen, weil nun wenigstens kein Kraftwerksgegner sagen kann, er sei am Ausdruck seiner Meinung gehindert worden. Es war eine Diskussion der sofortigen und unwiderruflichen Polarisierung, der sich auch die wenigen Besonnenen nicht entziehen konnten. Die Befürworter des Atomkraftwerkes mögen dessen Risken unterspielen, Atomkraftwerke in Österreich mögen einerseits unverantwortlich sein und anderseits unnötig (was zu beweisen wäre und leider schwer zu beweisen sein wird) — in der Linzer Diskussion standen drei oder vier Kraftwerksbefürworter einem Saal entschlossener Gegner gegenüber, die nicht bereit waren, auch nur das kleinste Pro-Argument zu akzeptieren, und sei es auch nur für fünf Minuten um der Diskussions-Fairneß willen.

Die Argumente der Gegner standen zum Teil auf einem erschütternden Niveau — um so größer war der Applaus. Das Klima war ein intellektuelles Lynch-Klima.

Aber vielleicht wäre dieses „Gespräch“ anders gelaufen, hätte es nicht mit einem Keulenschlag gegen die atomaren Dunkelmänner-Pappkameraden, sondern mit einer Be-wußtmachung der Problemlage begonnen? Aber nur vielleicht...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung