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Aus dem Nachlaß von Johannes Urzidil

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Die in diesem Frühjahr im Artemts-Verlag Zürich erschienenen Bekenntnisse eines Pedanten von Johannes Urzidil stellen die erste Publikation nach seinem Tode dar, die nicht mehr von ihm selbst zusammengestellt wurde. Sie erhält für alle Freunde des Dichters eine besondere Wichtigkeit durch eine Bibliographie von Vera Machacko-wa-Riegerowa Prag, deren Erstellung sicher viel Forschungsarbeit, Zeitaufwand und Mühe bereitet hat.

Mit 375 Titelnachweisen bis Ende 1938 zeigt die Bibliographie, wie vielfältig Urzidils Schaffen in den Jahren vor der Emigration war: Gedichte, Erzählungen, Feuilletons, Reisebilder, literaturgeschichtliche Studien und Kunstessays wechseln miteinander ab: Zeugnis einer Universalität, ohne die das reife Werk seines Alters nicht denkbar ist. Des weiteren macht die Bibliographie augenfällig, daß „Die verlorene Geliebte“ und ihre Auszeichnung mit dem angesehenen Schweizer Charles Veillon Literaturpreis für den Autor den Durchbruch brachte: sie verzeichnet nach 1956 mehr als 30 Buchausgaben, darunter japanische Schulausgaben aus seinem Erzähl-werk, eine polnische Ausgabe seines Amerikaromans „Das große Halle-luja“ und mehrere Übersetzungen seines Kafka-Buches.

Der Untertitel des von Hansres Jacobi einfühlsam eingeleiteten Bandes lautet: Dem Nachlaß autobiographischer Schriften entnommen, so'daß es überrascht, hier den „Traum eines Löwenbändigers“ wiederzufinden, der bereits 1962 in dem Erzählungsband „Das Elefantenblatt“ veröffentlicht wurde. Der Inhalt umfaßt Erzählungen sowie Essays zur Literaturgeschichte und autobiographische Essays.

Die literaturgeschichtlichen Essays nehmen die Hälfte des Bandes ein, einer davon gilt dem Thema Faust und die Gegenwart, mit einer Quintessenz, die echt Urzidil ist: „Was bleibt, ist das Juwel, das ein jeder für sich herausfinden kann unter den zahllosen Erkenntnisschätzen dieses unerschöpflichen Werkes, ein Juwel, das einem jeden mit besonderer und persönlichster Leuchtkraft dient. Wir für unseren Teil wählen dieses: ,Wer Gutes will, der sei erst gut.'“ Das reizvollste ist aber doch die Studie über Cervantes und Kafka — Urzidil sieht hier überall Parallelen: „Das literarische und persönliche Gesamtbild Kafkas ist durchaus das des irrenden Ritters mitsamt seinen Windmühlenkämpfen, seinem unermüdlichen Beharren auf seiner Erlösungswürdigkeit, seinen Weisheiten und Parodien.“

Die Erzählungen des Bandes muten an wie Bruchstücke einer Autobiographie — so eng sind sie mit dem Leben Urzidils verbunden, handele es sich um eine Beschwörung der Therapien seines Vaters, wenn er als Kind einmal krank war, oder um seine Erinnerung daran, wie er in Prag als Schüler spalierstehend Kaiser Franz Joseph gesehen hat, oder um seine Begegnung als Wachsoldat 1916 mit dem Mörder von Sarajewo. Sein Humor aber waltet am köstlichsten in den Bekenntnissen eines Pedanten, die wirkungsvoll den Band eröffnen.

Die autobiographischen Essays ergänzen das bekannte Bild des Dichters um manche Einzelheit und manches Bekenntnis: „Was meine Person betrifft, habe ich an die Menschen keine Forderungen, denn ich bin nicht sehr verwundbar, zumal ich immer bereit war, in Armut zu leben. Aber wenn ich eine Bitte an Gott stellen darf, so lautet sie: ,Herr, gib mir noch einige Kraft, das Richtige zu tun und zu helfen.'“ Immer aber läßt sich von dem Dichter Johannes Urzidil, der die letzten dreißig Jahre seines Lebens in Amerika lebte, mit dem Schlußsatz seiner hier veröffentlichten Erzählung „Blick vom Stingelfeisen“ sagen: „denn wo er.ist, dort ist Böhmen, und dort ist auch Österreich1'.

BEKENNTNISSE EINES PEDANTEN. Von Johannes Urzidil. Artemis, Zürich 1972. S 280.—.

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