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Autoren im Widerstand

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Eine Kunstgeschichte und ein Roman wenden sich gegen ein Weltbild, das alles für meßbar und machbar hält. Allmählich formiert sich der Widerstand.

Ist es schon hundertfünfzig Jahre her? Ungefähr. Damals begann man an die Machbarkeit aller Dinge zu glauben. Die Schöpfung erschien plötzlich als gigantischer Mechanismus, die menschliche Gesellschaft erinnerte an eine Maschine, der Mensch selbst war das Produkt seiner Herkunft, geleitet von seinen Interessen. Quantum verdrängte die Qualität, Ökonomie ersetzte die kontemplative Phantasie, alles war meßbar und erforschbar, alles erhielt einen angeblich richtigen Platz in einer gut überschaubaren Ordnung.

Dieser radikale Materialismus hatte für seine Anhänger etwas Heroisches. Bekämpfte man da nicht die Herrschaft wirrer Gespenster? Kämpfte man denn nicht für einen Sieg der Vernunft? Für alle, die an den Forderungen nach Qualität festhielten, die dieser gußeisernen Ordnung ihr schmerzvolles, aus schmerzlicher Erfahrungen hervorgegangenes „Vielleicht” entgegensetzten, gab es nur ein geringschätziges, spöttisches Lächeln:

Sichtbares Zeichen dieser Verblendung war die Gigantomanie: Schlachtschiffe, Eiffeltturm, riesige Dampflokomotiven, ganze Gesellschaftssysteme, nach Prinzipien der Mechanik errichtet.

Es brauchte ein paar Generationen, bis sich der Irrglaube herumsprach. Heute gibt es keine riesenhaften Schlachtschiffe mehr, keine elefantenhaften Dampflokomotiven, und der Eiffelturm ist für die Gegenwart nur als lehrreiche Sehenswürdigkeit interessant. Die Bauten und Konstruktionen unserer Zeit sind leicht, unsere technischen Mittel sind zum Teil unsichtbar: etwa die Strahlen. Aber der gußeiserne Irrglaube selbst beherrscht noch Schulen und Universitätsinstitu- * te, das Denken der meisten Politiker, dröhnt aus dem Fernsehen und dem Radio, ist in verkümmerter und dogmatisierter Form das Programm vieler Gruppen und Grüppchen. Liebe? Nie gehört. Das Recht auf Einsamkeit? Eine Krankheit. Verliebt sein? Drüsenfunktion. Würde und Ehre? Nicht meßbar und also nicht existent. Glück? Mechanisch produzierbar, eine Geldfrage.

Wir leben in einer Zeit, in der man glaubt, Leben, Liebe und Tod „in den Griff bekommen zu haben”, ohne zu merken, daß man nur die abstrakten Begriffe von Leben, Liebe, Tod im soziologisch geschulten Hirn hält — nichts in der Hand. Gut und Böse sind nicht Fragen der Qualität.

Aber der Geist ist nicht tot. Der Widerstand regt sich. Er regt sich kaum in Zeitungen, die ja aus Gründen der Verkaufbarkeit die alten Modetorheiten nachplappern, regt sich nur selten in TV und Radio, wo manche Leute die altehrwürdigen Irrtümer als schicke Neuentdeckungen präsentieren. Der Widerstand hat sich, wie so oft, zwischen die Buchdeckel zurückgezogen.

Zwei Bücher, die diesen Widerstand artikulieren, sind in letzter Zeit in Osterreich erschienen: „Die Kunst von gestern” von Fred Schmeller und „Der Gobelin” von Fritz Habeck. Eine Kunstgeschichte und ein Roman.

Schmeller attackiert in seinen „Betrachtungen zu einer Kunstgeschichte von morgen” hundert Vorurteile, oder besser gesagt, er attackiert sie kaum, er nimmt sie nur ganz einfach nicht zur Kenntnis, sondern bringt seine eigenen Ansichten zu Papier, lobt, urteüt, verdammt, erwägt die Wirkung der Zeitumstände und der Personen, der Auftraggeber und der künstlerischen Technik, kurzum: er schreibt über künstlerisch tätige Menschen und über die Umwelt, wobei er manche von der allgemeinen Bewunderung umgebene Größen mit einem spöttischen Lachen erledigt. Er mag die Etrusker nicht, er hat etwas gegen Michelangelo, er sieht nicht ein, warum er Raffael bewundern sollte. Ihm ist das Quantum der Verehrer gleichgültig; wichtig ist nur die Qualität. Also: Giorgione. Oder: Cezanne. Er stellt Wirklichkeit dar, Widersprüchlichkeit, Bewegung, Leben. Er pfeift auf tote Thesen.

Habeck ist direkter. Sein Roman spielt heute in Wien und könnte den Doktor Hugo Portisch zum Helden haben, einen Portisch allerdings, der als Romanheld — als Charakter und als erdachte Figur einer für die Zeit typischen familiären Konstellation — mit dem wirklichen Hugo Portisch nichts zu tun hat. Außer dem einen Punkt: auch der Romanheld Dr. Thomas Greith ist ein humanistisch geschulter, auf seine persönliche Freiheit bedachter Mensch, Betrachter der Weltpolitik, den Konstellationen eines übermächtigen und anonymen Apparates unentwegt ausgesetzt.

Habeck hat keinen Schlüsselroman geschrieben und Schmeller hat dem Leser keinen Schlüssel zur Deutung der Kunstgeschichte überreicht; und auch darin sind sich die beiden so unterschiedlichen Autoren ähnlich: Sie wollen den Leser nicht glauben machen, daß es eine Lösung gibt. Sie zeichnen auf. Ihre Behauptungen sind eigenständig, souverän und subjektiv, und also — entgegen der Lügensprache falsch gedeuteter und oft auch oberflächlicher Statistiken — überzeugend.

Denn glaubhaft ist nur die individuelle Ansicht, nicht das wissenschaftlich verbrämte, von den heutzutage so demokratisch erscheinenden und so absolutistisch regierenden Machern vertretene Vorurteil.

Man könnte Schmeller in vielen Fragen widersprechen, und man könnte auch an Habecks Roman, besonders was die tagträumerischen Passagen betrifft, manche Fragen stellen. Aber das ist Nebensache. Wichtiger ist, daß sich hier zwei sehr unterschiedliche Autoren in sehr unterschiedlicher Art zur selben Zeit zu Wort gemeldet haben, und zwar mit der gleichen Stoßrichtung. Beide schildern den Niedergang jenes Weltbildes, das die schweren Schlachtschiffe, den Eiffelturm, die elefantenhaften Dampflokomotiven hervorgebracht hat. Beide stellen etwas fest, was unter den gegebenen Umständen im Sinn einer metaphysischen Erweiterung unseres Weltbildes als geradezu radikal erscheint, obwohl es selbstverständlich sein müßte.

Das Mammut ist ausgestorben.

Im1 Zeichen dieses ausgestorbenen Mammuts steht immer noch unser Leben, soweit es gesellschaftlich und politisch ist. Ich glaube nicht, daß Schmeller das Buch von Habeck mag; und Habeck wird das Buch Schindlers auch nicht gerade begeistert lesen. Es gibt keine Front. Noch nicht. Ich zweifle aber nicht daran, daß die Tage der Alles-Bes-ser-Wisser gezählt sind. Sie scheitern auf ihrem Lieblingsgebiet: an der Unhaltbarkeit ihrer Ökonomie. Der Geist, vorläufig noch in seinen abgesicherten Bunkern des Widerstandes, hat das einseitig materialistische Weltbild längst überwunden. Der Sieg der Phantasie ist nur eine Frage der Zeit.

Alfred Schmeller: DIE KUNST VON GESTERN. Verlag Fritz Molden, Wien 1982. 336 Seiten, öS 364,80.

Fritz Habeck: DER GOBELIN. Roman. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1982. 231 Seiten. öS 200,-.

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