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Bis Wladiwostok

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„Den Deutschen und den meisten anderen Westeuropäern eröffnet sich der großeuropäische Aspekt nicht so leicht; denn ihr Gesicht ist, trotz früherer dynastischer, militä- rischer und wirtschaftlicher Ver- bindungen (mit Osteuropa, Anm.d.Verf.) ganz dem Westen zugewandt."

Herbert Kraus (79), 1949 Grün- der der liberalen Partei „Verband der Unabhängigen" (VdU),bis 1956 Oppositionsführer im österreichi- schen Parlament, heute Präsident des liberalen Klubs, konstatiert in seinem soeben erschienenen Werk „Großeuropa" eine große Aufge- schlossenheit für den Gedanken der Schaffung einer Konföderation vom Atlantik nicht nur bis zum Ural, sondern bis Wladiwostok vor allem in Osteuropa.

Er ist sehr optimistisch bezüglich seiner gesamteuropäischen Vision und glaubt, auch diejenigen über- zeugen zu können, die momentan die „kleineuropäischeEG-Lösung" bevorzugen. Kraus will eine Dis- kussion anfachen, „ob Europa in zwei Großstaaten - vielleicht ge- trennt durch eine dritte neutrale Macht - aufzuteilen oder in einer einzigen Konföderation staatlich und militärisch zusammenzufas- sen sei".

Welche Idee von einem neuen Europa hat Kraus? Er plädiert für eine „Konföderation zahlreicher, weitgehend souveräner Teilstaaten, die nicht mehr gegeneinander Krieg führen können; denn ihr behutsa- mer, schrittweiser Zusammen- schluß (nicht mehr aufgrund dyna- stischer, nationaler oder machtpo- litischer Interessen, sondern auf- grund eines multilateralen Dialogs der Öffentlichkeit, Anm.d.Verf.) soll mit einem zeitgemäßen Rüstungs- abbau beginnen und schließlich damit enden, daß die russischen, deutschen und spanischen Solda- ten alle denselben Oberbefehlsha- ber und die gleiche Uniform ha- ben."

Kraus sieht günstige politische und geistige Voraussetzungen für diesen Plan und vertritt die An- sicht, daß mit einer wirtschaftli- chen Zusammenarbeit zwischen Noch-Staatsbetrieben im Osten und westlichen Unternehmern sofort begonnen werden müßte.

Als Hauptproblem bei der eu- ropäischen Einigung nennt Kraus den aufkeimenden Nationalismus in Osteuropa. Die Neuordnung des Zusammenlebens der europäischen Völker wird für ihn daher eine vor- dringliche Aufgabe. „Die vorherr- schende Stimmung Westeuropas ist daraufgerichtet, Minoritäten zu schützen, drückende Abhängigkei- ten durch weitgehende Selbstver- waltung zu überwinden und auch reinen Staatsvölkern, die benach- barten Nationen angehören - wie Österreich und Luxemburg - eige- ne Staatsideen zuzuerkennen. Das politische Kunstwerk vollkomme- ner nationaler Gerechtigkeit exi- stiert nirgendwo in der Welt, aber eine solche Grundhaltung schafft eine kooperative Atmosphäre und schiebt das Nationalitätenproblem weit zurück", meint der Autor. Es liege nicht im Interesse der euro- päischen Sicherheitspolitik, daß das Sowjetreich zerfalle: Kraus fügt das bestehende sprachliche, wirtschaft- liche und verkehrstechnische Netz des Sowjetimperiums nahtlos in seine Konföderationsidee ein.

Frankreich - so Kraus - sei Vor- ' reiter der großeuropäischen Idee, danach falle den Neutralen der Ball zu: „Die Blockbindungen werden sich ebenso auflösen wie die militä- rischen Neutralitätsgelöbnisse. Sie werden alle zu historischen Erin- nerungen, zu Traditionswerten verblassen. Sie haben keinen Sinn mehr und stehen der EG-Auswei- tung nicht mehr im Wege."

„GROSSEUROPA". Eine Konföderation vom Atlantik bis Wladiwostok. Von Herbert Kraus, Langen Müller Verlag, München 1990. 147 Sei- ten, öS 218,40.

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