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Auf Autobahnen vorzufahren oder auch nur das Tempo zu halten, ist ohne Blick in den Rückspiegel nicht möglich. Kein „morgen” ohne „gestern”. So, oder dem Sinne nach so, FURCHE-Mitarbeiter György Sebestyėn in seiner Eigenschaft als Chefredakteur der Kulturzeitschrift „morgen”, deren erstes Heft er soeben, gemeinsam mit den Re- daktionsmitgliedem Friedrich Cerha, Annemarie Düringer, Rupert Feuchtmüller, Hans Fronius, Stefanie Harrach, Jörg Mauthe, Gustav Peichl, Friedrich Torberg, Adam Wandruszka und Peter Weiser, der Öffentlichkeit vorlegen konnte.

Aber nicht nur um Vergangenheit und Zukunft geht es bei dieser „Kulturzeitschrift aus Niederösterreich”, die vom Niederösterreich- Fonds unter der Geschäftsführung von Franz Baumgartner und Hans Magenschab verlegt und herausgegeben wird. Es geht vor allem auch darum, im Zeichen einer weitreichenden und sehr österreichischen Toleranz „Wirklichkeiten bewußt zu machen” und diese Wirklichkeiten des ostösterreichischen Raumes über das Bundesgebiet hinaus, sogar über den schicksalsmäßig verbundenen donauländischen Bereich hinaus, zur Geltung zu bringen, gültig zu machen. Und das bedeutet, daß „morgen” -(dessen nächstes Heft zu Weihnachten erscheint und dessen weitere Hefte in der Folge viermal im Jahr erscheinen sollen) neben den kulturellen auch wissenschaftliche und soziale Themen aufgreifen wird. (So etwa weist Gerhard Silberbauer schon im vorliegenden ersten Heft nach, daß geplanter Suburbanismus unter Umständen Resultate zeitigen kann, die ärger sind als die vielverschriene Wiener Großfeldsiedlung.)

War es tatsächlich möglich, daß Jugendzeichnungen des Niederösterreichers Oskar Kokoschka verborgen und vergessen blieben, daß sie erst kürzlich wieder auftauchten, daß Rupert Feuchtmüller sie im ersten Heft von „morgen” veröffentlichen konnte?

Ist es denkbar, daß ein Friedrich Torberg sich dafür rechtfertigen müßte, daß er Fritz von Herzma- novsky-Orlando redigiert, herausgegeben, einem breiten Leserkreis lesbar und somit in Wahrheit der Vergessenheit entrissen und gerettet hat? Nein, Torberg bedarf keiner „Rechtfertigung”, er schreibt eine sehr Torbergsche Herzma- novsky-Nachlese und veröffentlicht sie im ersten Heft von „morgen”.

Noch ist in diesem Heft Musik nicht „zu Wort gekommen”, sie wird sehr bald, und nicht nur in „Reihen”, an der Reihe sein. Aber die Literatur hat mit dem „beträchtlich linken” Helmut Zenker ihren Platz gefunden, nicht weniger die bildende Kunst mit einem Beitrag Christian Brandstätters über Karl Korab und mit Kurt Moldovans allerletzter Zeichnung, einer Illustration zu Jörg Mauthes grandioser Erzählung „Der Menschheit Würde und so weiter”.

Mauthes Erzählung bedarf deshalb besonderer Erwähnung, weil in ihr der Durchschnittsösterreicher vom peinlichen Klischee des „Herrn Karl” befreit wird, befreit durch das heldenhafte Verhalten eines recht unbedeutenden Heurigensängers mit dem Spitznamen „Slibowitz”, der als Häftling des Konzentrationslagers Mauthausen auf die Todeslinie zuschritt, zuschritt zum Entsetzen seiner Bewacher, zum Erstaunen seiner Mithäftlinge, hinging, um zu sterben und damit einen Zustand zu beenden, der unter seiner und der Menschheit Würde war.

Nichts ist verloren, alles ist noch zu retten. Trotz des „Wiener Planschbeckens” mit stadträtli- chen Kinderspielen am Karlsplatz, deren sich eine Karikatur des unermüdlichen „Ironimus” am Ende des Hefts bemächtigt.

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