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Blühendes Geschäft

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Während die Industrieproduktion — allen Währungs- und gewerkschaftspolitischen Zauberkünsten der Regierung Andreotti zum Trotz — einen Rückschlag nach dem andern erlitt und das Wirtschaftsbarometer auf Tief stand, lief das Geschäft der Telephonspionage unentwegt auf vollen Touren und konnte seine „Händler“ bestens honorieren. Dies ist eines der Untersuchungsergebnisse im bekannten Abhörskandal Italiens, der am 2. Februar geplatzt ist und mittlerweile alle geographischen, sozialen und politischen Grenzen gesprengt hat.

Mitte Februar machte es noch den Anschein, als handle es sich um eine hauptsächlich auf Rom begrenzte Affäre, deren Opfer im großen ganzen ■unter1 Druck gesetzfe, ebenso wohlhabende wie gehärmte Ehemänner und einige unvorsichtige Politiker wären. Jetzt steht fest, daß der Abhörskandal eine viel größere Tragweite besitzt und an den Grundfesten des italienischen Staates rüttelt. Sozusagen alle, die in Italien Rang und Namen haben — Gewerkschaftsführer, Wirtschaftskapitäne, Bankiers und prominente Politiker bis hinauf zum Staatspräsidenten — sind ausspioniert worden. Die Eingeweihten wußten es seit Jahren und haben sich entsprechend verhalten. Am Ende nichtssagender Telephongespräche pflegten befreundete Politiker jeweils noch einen Glückwunsch an die Adresse der Telephonspione auszurichten, den diese allerdings nicht erwiderten ...

Niemand in Italien glaubt, daß die 19 in Mailand und die 12 in Rom verhafteten Personen die eigentlichen Drahtzieher des Skandals gewesen seien. Es handelt sich fast ausnahmslos um Techniker der SIP-Telephongesellschaft, Detektive wie Tom Ponzi und einen ehemaligen Beamten der Kriminalpolizei, alles mehr oder weniger kleine Fische, die jetzt zu Sündenböcken auserkoren werden. Daß wahrscheinlich Zehntausende von Anschlüssen auch von Unbefugten systematisch überwacht werden konnten, dürfte letztlich we niger auf die Bereicherungsabsicht skrupelloser Detektive, denn auf eine vorschnelle generelle Ermächtigung zweier Ministerien zurückgehen, die es der Polizei und den Ca-rabinieri ermöglichten, in Quästuren und Hauptquartieren Telephongespräche direkt abzuhören. Da dieses Vorgehen gegen eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung verstößt, müssen die entsprechenden Dekrete als juristisch prekär bezeichnet werden, und es stellt sich die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Während sich die Minister und Volksvertreter hinter der parlamentarischen Immunität verschanzen können und sich nur vor Kammer und Senat zu verantworten haben, sind die höheren Funktionäre ohne parlamentarische Rückendeckung gleichsam vogelfrei. Italien * ist nun' gespannt darauf, ob wenigstens diese großen Fische von den Untersuchungsrichtern geangelt werden können.

Zugegebenerweise ist der ganze Abhörskandal außerordentlich komplex. Nach dem italienischen wie nach dem Recht der meisten Länder, darf ein Richter oder Vertreter der Justizpolizei im Kampfe gegen das organisierte Verbrechertum bei begründetem Verdacht ausnahmsweise Telephongespräche überwachen. Bei der Uferlosigkeit des aufgeblähten italienischen Staatsapparates ist die Gefahr sehr groß, daß die entsprechenden Abhöranlagen auch von Unbefugten benützt und auf selbständige Abhörzentralen ausgedehnt werden. Daß einige besonders skrupellose Telephonspione daa aufgenommene Tonbandmaterial an ausländische, wahrscheinlich nicht nur libysche Spionagedienste teuer verkauften, war das fast zwangsläufige Ergebnis einer unübersichtlichen Verwaltung, die, wie wir heute wissen, bei der Bespitzelung maßgebender Persönlichkeiten der Politik und Wirtschaft vorzügliche Dienste geleistet hat. Ob sie es nach dem Dazwischentreten der Justizbehörden immer noch tun kann, ist das große Fragezeichen.

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