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Caetano im Kriechgang

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Alles deutet darauf hin, daß die Pessimisten, die in Portugals neuem Ministerpräsidenten eher einen Mann der Beharrung als der grundlegenden Reformen sehen, recht behalten. Die am 15. Juni begonnenen Parlamentsdebatten, die zu einer sehr zaghaften Reform der Verfassung von 1933 und zur Annahme des neuen Gesetzes über die Religionsfreiheit geführt haben und sich derzeit mit der Pressefreiheit befassen, haben dem Land keineswegs eine Öffnung beschert, die es einen Schritt näher zur Demokratisierung bringen könnte.

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Alles deutet darauf hin, daß die Pessimisten, die in Portugals neuem Ministerpräsidenten eher einen Mann der Beharrung als der grundlegenden Reformen sehen, recht behalten. Die am 15. Juni begonnenen Parlamentsdebatten, die zu einer sehr zaghaften Reform der Verfassung von 1933 und zur Annahme des neuen Gesetzes über die Religionsfreiheit geführt haben und sich derzeit mit der Pressefreiheit befassen, haben dem Land keineswegs eine Öffnung beschert, die es einen Schritt näher zur Demokratisierung bringen könnte.

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In seiner letzten „Familienplauderei“, die Ministerpräsident Caetano periodisch im staatlichen Fernsehen abhält, wurde deutlich, daß er nicht nur die angekündigten Reformen im Schneckentempo weiterzuführen gedenkt, sondern sich auch von einer Liberalisierung distanziert. Er wandte sich in kaum verhüllter Form gegen seine Gegner aus den Reihen der eigenen Staatspartei. Diese Abgeordneten, die auf der Regierungsliste ins Parlament gewählt wurden und sich hauptsächlich aus jungen, gemäßigten Liberal- Demokraten zusammensetzen, waren mit dem oberflächlichen Änderungen der Verfassung so wenig einverstanden, daß sie aus Protest das Parlament vor der Abstimmung verließen.

Caetano nannte sie „meine jungen Freunde“ und spielte auf sie als Abtrünnige von ihrer eigenen politischen Gruppe an. Er erklärte, daß er „vielleicht auch lieber ihre Position einnehmen würde“, daß seine Verantwortung es ihm aber verwehre und beschuldigte sie indirekt der V erantwortungslosigkeit.

Caetano ist von dieser Entwicklung alles andere denn begeistert: Einem seiner parlamentarischen Gegner erklärte er rundheraus, daß dessen Gruppe schlimmer sei als die Sozialisten des Lissaboner Anwalts Mario Soares, der als Emigrant im Ausland lebt.

Unter diesen Umständen wird es wenig überraschen, wenn aus dem Gesetz über Pressefreiheit nur ein Schatten dessen wird, was die Presse, das Land und die SEDES (Assoziation für wirtschaftliche und soziale Entwicklung) wünschen. Diese Gruppe, die seit Monaten versucht, eine sehr gemäßigte und legale Oppositionspartei aufzubauen, dabei aber — wie ziemlich viele Versammlungsverbote gezeigt haben —

Schiffbruch erlitt, erklärte in einer der portugiesischen Presse übergebenen Note, daß das neue Pressegesetz den Zugang zu den Informationsquellen, die Freiheit der Nachrichtenverbreitung, die Möglichkeit der freien Zeitungsgründung und einen besonderen Rechtsstatus für die Presse, in dem die Rechte und Pflich ten sowie die Immunität der Journalisten garantiert werden, garantieren solle.

Sie hofft, daß das Parlament dem Land eine freie, objektive und seriöse Presse wiedergibt. Dem Entwurf zum Pressegesetz nach zu schließen, wird es bei Hoffnungen bleiben. Denn es werden zwar einige besonders restriktive Bestimmungen weggelassen, wie die Vorzensur, dafür kann die Regierung für Pressevergehen hohe Verwaltungsstrafen verhängen. Die Vorzensur, die in dem Pressegesetzentwurf mit dem beschönigenden Namen „Vorprüfung“ bedacht wird, kann sofort wieder eingeführt werden, wenn im Land der Ausnahmezustand verhängt wird oder wenn es zu schweren subversiven Aktionen kommt.

In Übersee bestehen diese „schweren subversiven Aktionen“ ja bereits seit Beginn des Kolonialkriegs im Jahre 1961, so daß dort die Zensur bestehen bleiben dürfte. Und im Mutterland werden in den letzten Monaten häufig Bombenattentate durch die ARA, die linksextreme „Bewaffnete revolutionäre Aktion“, verübt. Das letzte Attentat ereignete sich am 26. Juli, als in einem im Bau befindlichen Kriegsschiff eine Zeitbombe entdeckt wurde.

Auch sonst fehlt es nicht an „subversiven Aktionen“. Zwischen zweitausend manifestierenden Bankangestellten, die im Geschäftszentrum Lissabons, der Baixa, die Freilassung des Führungsmitglieds der Bankgewerkschaft Lissabons, Daniel Cabrita, forderten und der Polizei kam es zu blutigen Zusammenstößen, die neun Verletzte forderten. Das Innenministerium veröffentlichte daraufhin ein Kommunique, in dem es sich an die „Menschen guten Glaubens“ wandte und sie aufforderte, sich nicht durch den Gerüchte-, Agitations- und psychologischen „Terrorfeldzug“, mit dem das Land überzogen werde, täuschen zu lassen und versicherte, daß die Häftlinge gute Behandlung erhalten.

In letzter Zeit sind nämlich hauptsächlich Führer der staatlichen Gewerkschaften festgenommen worden und die Arbeiter befinden sich dadurch in ziemlicher Unruhe. Die Situation ist also alles andere denn vorteilhaft für Caetanos Reformen im vorsichtigen Langsamgang. Wird er sich dadurch veranlaßt fühlen, sie völlig einzustellen?

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