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Deinzendorf

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Es hat kaum Stationen in dieser Kindheit gegeben, kaum Höhepunkte, kaum etwas, das sich als unverkennbar Bezeichnendes, Ereignishaftes, oder Absonderliches in der Erinnerung aufbewahrt hätte. Vielmehr umgibt mich beim Zurückblik- ken ein Gefühl der heiteren Geborgenheit, der liebevollen Abgeschiedenheit, ein Zustand stetigen und langsamen Fließens, wie ein staunendes Tagträumen vor dem im-

merwährenden Anbruch einer fabelhaften Morgenröte.

Und obwohl ich jeweils nur die wenigsten Zeiten des Jahres auf dem Lande zugebracht hatte, - tatsächlich immer . nur die Sommermonate - scheint es mir, ich hätte mich fast ausschließlich dort, im Anblick der wogenden Gerstenfelder, der strähnigen Uferwiesen, der sanft welligen lichtgrünen Hügel, der zart und berauschend duftenden Fliederbüsche und Robinienbäume befunden, ich hätte beinah ausschließlich auf den glatten hölzernen Pferden, und wassertretend, hinter dem Wehr gespielt, und in immer neuer Verzauberung in die weit aufgesperrten Schnäbel der Schwalben geblickt, wenn sie in tiefen Flügen, zum Greifen nah, über den silbernen Staub der Dorfstraße hinwegpfeilten, und als wäre ich immer wieder über die Schwelle des alten Lehmvierkanters getreten, auf welcher die wilden Schwertlilien und Dahlien wuchsen und dessen dunkelgrünes mit Sonnen-Schrägen verziertes Holztor so schwer in den Angeln lag, daß ich es kaum zu bewegen vermochte - und wäre von dort an den gegenüberliegenden Ziehbrunnen gesprungen, dessen Trittsteine sich warm anfühlten und hätte ganze Sommernachmittage in wehmütigschwereloser Selbstvergessenheit verbracht, indem ich meine kleine Mundharmonika an die Lippen preßte oder sie vor den Lippen hin- und zurückschob, ohne ihr etwas wie eine Melodie entlocken zu können, und hätte dann immer von neuem gesehen, daß die Birnen, die auf dem Birnbaum vor unserem Haus hingen, gleichzeitig in grünen Scherben vor meinen bloßen Füßen lagen.

Im Schuppen die Schaukel, dorthin in der Dunkelheit, vor der ich Angst hatte, mich tastend, ein Küchengarten, ein Kandelaber, die rosa tropfenden Malven über dem Zaun im Zockeltrab, allein, zu den Maulbeerplantagen am Ende des Orts ich phantasiere dann einen großen Hund, der mich überallhin begleitet: nämlich kahles Weidengezweig, das ich nachzog.

Mit noch nicht ganz drei Jahren saß ich mit meiner Mutter in einem dunklen Eisenbahnwaggon. Da waren auch meine Brüder. Wir saßen auf Holzbänken, die zu hoch waren, einmal auf dem Knie eines fremden Soldaten. Gab es Fensterscheiben? Die Landschaft flog vorbei, auch fremd. Nein, Fensterscheiben gab es nicht, es ist selbstverständlich, daß es keine Fensterscheiben gibt, ifch fahre zum ersten Mal in einem dunklen Eisenbahnwaggon. Da müssen alle Mäntel tragen. Als der Zug hält, zischt und dampft es. Ein Kessel sei getroffen, sagt jemand. Im übrigen sind alle schreiend aufgesprungen, laufen Menschen in den Gängen.

Auch die Stufen, die aus dem Waggon führen, sind zu hoch. Wir laufen über ein weites Stoppelfeld, dahinter ist das Gebirge, von dort kommt ein

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