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Digital In Arbeit

Der Griff der Drucker nach der Zeitung

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In Dänemark ist die traditionsreiche „Berlingske Tidende“, die 1748 gegründete Tageszeitung, seit dem 31. Jänner nicht mehr erschienen. Ein Konflikt der Verlagsleitung mit den Druckern hat sie lahmgelegt. In London liegt die noch ehrwürdigere „Times“ seit Monaten im Clinch mit dem technischen Personal. In Portugal haben die Drucker das Erscheinen der „República“ wochenlang verhindert; in Frankreich das des „Parisién liberé“. Aus allen Teilen der westlichen Welt kommen Meldungen ähnlichen Inhalts: In den Zeitungshäusern greifen die Drucker nach der Macht.

Die Kommentatoren der Medienszene sehen in düsteren Prognosen eine Zeit anbrechen, in der nicht mehr die Journalisten und Herausgeber bestimmen, was gedruckt wird, sondern die Arbeiter an den Setzmaschinen. Doch das technische Personal hat keinen Grund, hoffnungsfroher in die Zukunft zu sehen. Bangen die Zeitungsbesitzer um die Meinungsfreiheit, so fürchten die Drucker um ihre Arbeitsplätze. Beide Seiten haben Grund für ihre Ängste.

Es ist wichtig, bei den eingangs erwähnten Zeitungskonflikten zu differenzieren, um ein richtiges Bild zu gewinnen. Es wäre falsch, in der Tatsache, daß jedesmal das Erscheinen eines Blattes durch die Durckereiarbei- ter verhindert wurde, eine gemeinsame Linie aller Auseinandersetzun-

gen zu suchen. Es gibt vielmehr zwei solcher Linien.

Da sind zunächst die Fälle bei „República“ und „Parisién liberé“. Hier war die politische Linie der Blätter der Protestgrund der Arbeiter. Die linken Drucker wollten nicht vervielfältigen, was ihnen die rechten Herausgeber und deren Journalisten an Manuskripten lieferten. Ohne weiter differenzieren zu wollen, ohne die eklatanten Unterschiede zwischen den beiden Zeitungen zu berücksichtigen: In beiden Fällen handelt es sich eindeutig um versuchte Beeinflussung, um politische Erpressung. Nach den geltenden Arbeitsgesetzen hat der Arbeitgeber das Recht, die Arbeit zu leiten und zu verteilen. Es steht daher dem Drucker nicht zu, die Arbeit zu verweigern, auch wenn er ein kommunistisches Hetzblatt oder die Auswüchse der NDP zu vervielfältigen hat. Die Demokratie ist stolz auf ihre Meinungsfreiheit und muß sie verteidigen.

Eine andere Frage ist, ob nicht nach den Journalisten auch dem technischen Personal ein gewisses Mitspracherecht bei der Gestaltung einer Zeitung eingeräumt werden sollte. In diese Richtung zielt die Lieblingsidee des österreichischen Journalistengewerkschaftsbosses Günther Nenning, eine gewerkschaftliche Einheit aus allen in den Medien Beteiligten zu schaffen: Journalisten, Druckern, Rundfunkleuten, Verwaltungspersonal. Eine Frage, die ausführlich zu diskutieren wäre. Die Aktionen in Paris und Lissabon jedenfalls sind nur als Meinungsterror zu bezeichnen.

Ganz anders liegen hingegen die Voraussetzungen bei „Times“ und besonders bei „Berlingske Tidende“. Die Aktionen der Drucker richten sich nicht gegen die konservative Haltung der beiden Zeitungen. Das technische Personal kämpft um seinen Arbeitsplatz. Daß dieser Kampf im „Berlings- ke-Haus“ zu dem Ergebnis zu führeft scheint, daß das Haus für immer geschlossen bleibt und dadurch 2000 Arbeiter ihre gutbezahlten Arbeitsplätze verlieren, ist eine besondere Ironie oder Tragik. Die ersten 1000 Kündigungen wurden bereits ausgesprochen.

Die Leitung des „Berlingske-Hau- ses“ hatte mit 1. Februar eine neue Arbeitsordnung festgesetzt, die den Druckern einige Vergünstigungen strich und überdies 300 Arbeitsplätze einsparen sollte. Das früher hochaktive Unternehmen war zuletzt in die roten Zahlen geraten und wollte auf diesem Weg sein Überleben sichern. Die Arbeiter weigerten sich am Vorabend des Stichtages, die Arbeit zu den neuen Bedingungen aufzunehmen, worauf die Blattleitung die Arbeiter nach Hause schickte und das Haus sperrte. Seither sind die dort erscheinenden Zeitungen nicht mehr auf den Markt gekommen.

Es ist die neue Technik, die auf das Druckereigewerbe zukommt. Der Lichtsatz hat in den Zeitungshäusern Einzug gehalten, mißtrauisch beäugt von den Gewerkschaften. Wozu früher eine eigene Setzerei nötig war, das kann heute eine tüchtige Sekretärin mit der Schreibmaschine schreiben. Bald werden die Manuskripte aus der Redaktion direkt in die Druckereimaschinen kommen.

In Österreich hält die Gewerkschaft ihre Hand über die durch die neue Technik bedrohten Arbeiter: Als der Herold-Dom-Verlag Lichtsatzmaschinen erhielt, gab es die Auflage von Arbeitnehmerseite, daß keine Arbeitsplätze gefährdet werden dürften. In Großdruckereien ist die Situation kritischer. Es ist keine Dauerlösung, gelernte Setzer die neuen Maschinen bedienen zu lassen, wenn eine schlechter bezahlte Schreibkraft diese Arbeit besser ausführen kann.

Die Drucker wehren sich gegen die technischen Fortschritte nicht so naiv wie die Maschinenstürmer des Frühkapitalismus. Aber ein einflußreicher Berufszweig, hochbezahlte Spezialisten von gestern, will heute nicht überflüssig sein. „Wir wollen, daß man uns eine andere Alternative anbietet als die Arbeitslosigkeit“, meinte Louis Andersen, der Chef der Kopenhagener Typographen.

Druckerstreiks haben freilich Folgen, die nicht nur die unmittelbar Beteiligten betreffen. Neben den Journalisten, die ohne eigenes Zutun zum Nichtstun verurteilt sind, gilt das auch für die Leser. Der Ausfall einiger Zeitungen beeinflußt die Meinungsvielfalt. Beispiel Dänemark: Durch das Nicht-Erscheinen der Zeitungen aus dem „Berlingske-Haus“ hat sich das Spektrum der in den Medien vertretenen Meinungen ein gutes Stück nach links verschoben. Die bürgerlichen Sprachrohre sind allesamt ausgefallen.

Darum reagiertauch die Medienwelt so empfindlich auf Auseinandersetzungen in den Zeitungshäusem. Der Streik bei „Times“ hat in der iilterna- tionalen Publizistik weit mehr Aufsehen erregt, als der gleichzeitig stattfindende, wesentlich größere Konflikt bei „British Leyland“. Wobei freilich auch nicht vergessen werden darf, daß im Fall von Zeitungsstreiks die Journalisten der Weltpresse einen unbemerkten Positionswechsel mitmachen. Sie sind nicht wie in anderen Streitfällen objektive Schiedsrichter, sie sind plötzlich Beteiligte, weil ihr Berufszweig in den Konflikt hineingezogen wird.

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