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Die Lewa-Millionäre wohnen auf dem Lande

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In Sofia geht es so behäbig zu, wie eh und je. Von den Spannungen in der Welt und von der Hektik einer westlichen Großstadt ist hier kaum etwas zu bemerken. In der Stadtvilla „Bojana“ an den herbstlich verfärbten Hängen des Vitoschagebirges wechseln die Besucher: der französische Sozialistenführer Mitterrand, der polnische Verteidigungsminister, der deutsche Bundesaußenminister Genscher, der sowjetische Minister für Schwerindustrie .,. Trotzdem wirkt der Besucherstrom ein wenig hausbacken, die Posten in ihren malerischen roten Husarenuniformen wie ein Leihstück aus der Geschichte. Stacheldraht und schwerbewaffnete Wachtet blieben Sofia bisher erspart. An den Grenzübergängen und auf dem Sofioter Flughafen werden Verdächtige allerdings ohne Pardon bis aufs Hemd durchsucht. „Wir verstehen das nicht“, fragen mich freimütig bulgarische Studenten in einem Cafė am Boulevard Ruski nach den Ursachen des Terrors in Deutschland. „In einem so reichen Land, und obgleich doch die Deutschen so diszipliniert sind; und dann sind die Mörder und Terroristen noch ehemalige Studenten und Akademiker!“ Für die deutschfreundlichen, fleißigen und disziplinierten Bulgaren, die selbst als „Preußen des Bakans“ gelten, bleiben die Vorgänge in Deutschland und in Europa völlig unbegreiflich. Klar distanziert sich auch die bulgarische Parteipresse von RAF und Patientenkollektiven.

„Banditen, aber keine Revolutionäre“, stellte das Parteiblatt „Rabotni- Sesko Delo“ unmißverständlich fest. Daß die Terrorszene im reichsten Staat Europas zur Rechtfertigung der eigenen harten Hand dient, und vor allem als Beweis für die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung, sollte nicht Wunder nehmen. Im übrigen hat der Bulgare noch andere Interessen und Sorgen; wie etwa meine Studienfreunde, denen im Monat von ihrem Stipendium 20 Lewa für private Ausgaben übrigbleiben. Schon ein flüchtiger Gang durch die Fußgängerzone Sofias, von der Alexander- Newski-Kathedrale mit ihren vergoldeten Kuppeln, am bescheidenen Königsschloß vorbei, zum Roten Platz, durch schmale Geschäftsstraßen, zeigt, wo die Bulgaren sonst noch der Schuh drückt. Das Konsumgüterangebot ist kaum reichhaltiger als vor einigen Jahren, vom Styling her rettungslos veraltet, und von der Entwicklung überholt. Die Schwerfälligkeit der Planwirtschaft präsentiert sich in den Auslagen der staatlichen Handelskette in Form von geschmacklosen Erzeugnissen, die in marktwirtschaftlichen Systemen nicht einmal als Ladenhüter bezeichnet werden können. Der Vorrang der-Schwerindustrie, wie ihn der laufende Fünfjahresplan vorsieht, hat das Konsumaufkommen rettungslos in den Hintergrund gedrängt. Der mangelnde Anreiz und das dürftige Angebot haben einen Geldüberhang zur Folge, der wiederum eine spezifische Form der bulgarischen Inflation begünstigt. Gesuchte Waren werden unter dem Ladentisch zu überhöhten Preisen gehandelt und der Staat marschiert mit begehrten Industrieprodukten, wie etwa Autos, weit an der Spitze der Preisskala. Daß für eine sowjetische „Lada*1 6500 Lewa gefordert werden, wofür der Bulgare rund 40 Monatsgehälter aufbringen muß, konnte die gewaltig anschwellende Motorisierung aber kaum beeinflussen. Auch nicht die fünfzigprozentige Benzinverteuerung. Anderseits ißt der Bulgare auch zu viel, da die Preise für Lebensmittel extrem niedrig gehalten werden, was wiederum zu fühlbaren Engpässen in der Versorgung führt. Die dirigisti sche Preispolitik dreht sich im Kreis, und seit Monaten diskutieren die Bulgaren von der Schwarzmeerküste bis Dimitroffgrad, wie es besser werden könnte. Fünf Minister der bulgarischen Regierung mußten im Zuge der Diskussion eines flexiblen ökonomischen Modells den Hut nehmen. Unter der glatten politischen Oberfläche gärt es also. Um die stagnierende Ökonomie in Schwung zu bringen, wurden bisher zwei wichtige Maßnahmen gesetzt: Ein modernes Lohnsystem in der Industrie und Lockerungen in der kollektivisierten Landwirtschaft. Das neue Lohnsystem in der Wirtschaft zielt auf eine Verbesserung der Qualität, was auch eine Änderung der Leistungsnormen zur Folge hat. Die Maßnahmen auf dem industriellen Sektor werden von ähnlichen in der landwirtschaftlichen Produktion begleitet, die ebenfalls darauf abzielen, Lücken in der Versorgung aufzufüllen und mehr landwirtschaftliche Produkte für den Export bereitzustellen.

Innenpolitisch wird hiebei manches riskiert, da die „Lewa-Millionäre“ ohnedies auf den Dörfern sitzen. Die geschickten bulgarischen Bauern ziehen auf ihrem Drei-Ar-Hofland in Form von Gemüse pures Gold, da ihnen der Verkauf auf den Bauernmärkten in den Städten gestattet ist. Neue, moderne Häuserzeilen in den Dörfern zeugen schon äußerlich von einem gewissen Wohlstand. Wohin aber jetzt mit dem ersparten Geld, da der Erwerb privaten Grundbesitzes im sozialistischen Bulgarien gesetzlich beschränkt ist? Der Druck auf den bulgarischen Binnenmarkt kommt so vöm Lande her und dürfte nur durch ein breites, verlockendes Konsumgüterangebot aufgefangen werden können. Aber auch durch die Propagierung zeitgemäßer Konsumgewohnheiten- und das dürfte beim konservativen Bulgaren noch schwieriger durchzusetzen sein als die Änderung liebgewonnener archaischer Produktionsmethoden.

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