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Die Renten in Europa

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Eigenvorsorge und betriebliche Vorsorge gewinnen europaweit zunehmend an Bedeutung (siehe Dossier Seiten 13-21). Die Ausgestaltung ist jedoch von Land zu Land verschieden.

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Eigenvorsorge und betriebliche Vorsorge gewinnen europaweit zunehmend an Bedeutung (siehe Dossier Seiten 13-21). Die Ausgestaltung ist jedoch von Land zu Land verschieden.

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Die soziale Sicherheit ist ein zentrales Thema in allen europäischen Ländern. Während jedoch in der Vergangenheit der Schutz-im wesentlichen Ausmaß von der Sozialversicherung getragen wurde, ist die staatliche Absicherung zunehmend brüchig geworden. Dies ist einmal eine Folge der Finanzierungsprobleme des Staates, der bei der Vielzahl der gestellten Aufgaben in einem modernen Staatswesen die hohen Sozialversicherungsansprüche nicht mehr bezahlen kann, ohne entweder die Beiträge der Versicherten stark heraufzusetzen oder die Leistungen zu kürzen. Ein anderer Einflußfaktor ist die demographische Entwicklung, die bei höherer Lebenserwartung und niedrigerer Geburtsrate zu einer erheblichen Verschlechterung des Verhältnisses der aktiven Beitragszahler zu den Beziehern von Renten führt. Und drittens hat die Einkommensentwicklung in vielen Bereichen der Wirtschaft dazu geführt, daß nur ein Teil des Einkommens dem Sozialversicherungsschutz unterliegt und daher Lük-ken in der Vorsorge aufweist.

Die betriebliche Vorsorge und die Eigenvorsorge gewinnen daher zunehmend an Bedeutung. Die Diskussion in Österreich zum Pensionskassengesetz beziehungsweise zum Betriebspensionsgesetz und die Regelungen der Steuerreform mit Wirkung vom 1. Jänner 1989 bestätigen diese Entwicklung.

Die Schweizer haben dazu eine sogenannte Säulentheorie entwik-kelt: Die staatliche Sozialversicherung bildet die erste Säule, die betrieblichen Vorsorgepläne sind die zweite Säule und die Eigenvorsorge ist die dritte Säule des Systems.

Diese „Drei-Säulen Theorie“ ist in abgewandelter Form in allen europäischen Ländern anzutreffen. Jedoch ist das Ausmaß der staatlichen Versorgung im Vergleich zur betrieblichen Vorsorge und zur E igen Vorsorge sehr unterschiedlich von Land zu Land. Ähnlich verhält es sich mit der Ausgestaltung der jeweiligen Vorsorgebereiche in bezug auf

• versorgungsberechtigte Personen (zum Beispiel alle Staatsbürger oder nur Arbeitnehmer),

• Art der Leistungen (zum Beispiel Altersrenten oder -kapital, Hinterbliebenenversorgung, Invaliditätsschutz, Krankenversicherung),

• Bestimmung der Leistungen (zum Beispiel gehaltsabhängig oder Festbeträge),

• Höhe der Leistungen. Andere wichtige Unterschiede ergeben sich aus verschiedenen Altersgrenzen, wobei in den meisten Ländern die normale Pensionierung zwischen Alter 60 und 65

stattfindet. Ausnahmen sind Dänemark und Norwegen mit Alter 67 als normaler Pensionierungszeitpunkt. Bei den Altersgrenzen spielt auch die verschiedene Behandlung der Geschlechter eine weiterhin wichtige Rolle. Die Tendenz geht aber auf eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen entsprechend eines Entwurfs für eine EWG-Richtlinie.

Auch die Anpassung an die Lebenshaltungskosten wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Sie reicht von der automatischen Anpassung bis zur periodischen Überprüfung ohne gesetzliche Verpflichtung.

Schließlich sind die Finanzierungsweisen erheblich voneinander verschieden. So weichen Arbeitgeberkosten, verfügbares Einkommen nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Einkommensteuer in den einzelnen Ländern voneinander ab.

Dieses sehr unterschiedliche Bild in der Sozialversicherung gilt gleichermaßen für EWG-Länder wie EFTA-Länder. Die Existenz der EWG seit 1958 hat im sozialen Bereich kaum Harmonisierungsfortschritte gebracht. Nur grenzüberschreitende Transfers unterliegen allgemeinen verbindlichen EWG-Verordnungen, um zumindest doppelte Beitragszahlungen und Doppelversicherungen zu vermeiden und um gleichzeitig Ansprüche trotz relativ kurzer Auslandsaufenthalte sicherzustellen.

Mit der zunehmenden Bedeutung der betrieblichen Versorgung und der Eigenvorsorge ist auch das Interesse an den bestehenden Systemen der nicht obligatorischen Vorsorge in den einzelnen Ländern geweckt worden. Darüber hinaus ist die Entwicklung des Binnenmarktes innerhalb der EWG Anlaß, verstärkt über die Grenzen zu schauen.

Wie im Bereich der Sozialversicherung mit ihrer vielfältigen, historisch langsam gewachsenen Entwicklung finden sich höchst unterschiedliche Systeme der betrieblichen Altersvorsorge.

Einen erheblichen Einfluß übt die jeweilige Steuergesetzgebung eines Landes aus, um bestimmte Finanzierungsformen zu fördern. Dasselbe gilt für die Eigenvorsorge, die wesentlich von steuerlichen Anreizen abhängig ist.

Betriebsrenten und andere Formen der betrieblichen Vorsorge wie zum Beispiel Krankenleistungen, sind besonders wichtig in den Ländern, wo der Ausbau der Sozialversicherung begrenzt geblieben ist. Die betrieblichen Versorgungssysteme sind ein wesentlicher Bestandteil der gesamten „ sozialen Dimension“ , die insbesondere im EG-Raum im Zusammenhang mit der Sozialcharta zur Zeit zur Debatte steht. Die Finanzierung dieser betrieblichen Versorgungssysteme erfordert erhebliche Mittel, die unter anderem zur Bildung von finanzstarken Pensionskassen geführt haben, mit großer Bedeutung für den Kapitalmarkt. Pensionskassen sind aber nur eine mögliche Form von Finanzierung. Abhängig vom jeweiligen Steuerrecht sind, auch Pensionsrückstellungen in der Bilanz der Trägerfirma oder Gruppenversicherungen, Unterstützungskassen oder auch eine Kombination dieser Finanzierungsmethoden je nach Land und unter Berücksichtigung der besonderen firmenspezifischen Gegebenheiten anzutreffen. Dabei kann auch eine Beitragsbeteiligung der Arbeitnehmer vorgesehen sein oder Höherversicherungen für eine verbesserte Eigenvorsorge.

Die Vielzahl der anzutreffenden Formen wird ergänzt durch höchst unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen. Dazugehört, daß Pensionsrückstellungen, die in Österreich, Deutschland, Luxemburg und auch in bestimmten Grenzen in Italien üblich sind, in den meisten anderen Ländern gesetzlich ausgeschlossen sind. Dazu gehört ebenfalls, daß die so wichtige Frage der unverfallbaren Ansprüche bei Ausscheiden aus der Firma in jedem Land völlig anderen Regeln unterworfen ist. Und schließlich wird die Anlage der zur Finanzierung bereitgestellten Mittel und die Sicherheit der Ansprüche bei Insolvenz der Trägerfirma sehr unterschiedlich gehandhabt, wobei sowohl sehr liberale Regelungen, wie in Belgien oder Großbritannien, oder auch sehr restriktive Regelungen, wie bei Versicherungen in praktisch allen kontinentalen Ländern, anzutreffen sind.

Die EWG-Kommission in Brüssel ist sich der Komplexität und der gewachsenen Unterschiede wohl bewußt. Sie hat aber ihren Willen zum Ausdruck gebracht, Bewegung in die oft erstarrten Systeme der einzelnen Mitgliedsländer zu bringen.

Die Liberalisierung und Deregulierung, die den Binnenmarkt vorantreiben sollen, werden auch schließlich den Bereich der betrieblichen Versorgungssysteme erfassen. Mehr Wettbewerb der Versicherer und der Anbieter von Finanzleistungen führt sicherlich zu günstigeren Bedingungen für die Trägerfirmen und die beitragszahlenden Versicherten. Diese positive Entwicklung sollte daher mehr Spielraum bieten, um die Vorsorge optimal zu gestalten.

Der Autor ist Managing Director der Wyatt Company S. A. in Brüssel. Dieses Unternehmen ist unter anderem auf Betriebsberatung in Pensionsfragen spezialisiert.

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