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Am Bedarf orientieren

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Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen: der Sozialstaat stößt allenthalben an seine Grenzen. Langfristig die soziale Sicherheit garantieren kann nur Eigenvorsorge.

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Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen: der Sozialstaat stößt allenthalben an seine Grenzen. Langfristig die soziale Sicherheit garantieren kann nur Eigenvorsorge.

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Der Umverteilungssozialismus, der jeden Menschen von Geburt an als Sozialfall betrachtet, hat in eine Sackgasse geführt. Die Sozialpolitik mit der Gießkanne ist nicht weiter finanzierbar. Die ständig notwendigen Beitragsund Steuererhöhungen überfordern nicht nur Betriebe und Arbeitnehmer, sondern gefährden immer mehr auch die Arbeitsplätze.

Erhöhung der Arbeitskosten heißt in einer angespannten wirtschaftlichen Situation Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit, heißt Gefährdung und Vernichtung von Arbeitsplätzen. Ohne Arbeit gibt es keine soziale Sicherheit.

Die Krise des Umverteilungssozialismus bedeutet aber nicht, daß es zu einer sozialen Demontage kommen muß. Im Gegenteil: Es bietet sich dadurch vielmehr die Chance für eine Umgestaltung und Verbesserung der Sozialpolitik im Sinne jener Grundwerte, die in den letzten Jahren zurückgedrängt wurden.

Eigenverantwortung, Hilfe zur Selbsthilfe, Subsidiarität und Initiative zur Eigenvorsorge müssen wieder Bestimmungsfaktoren für eine tragfähige Sozialpolitik werden.

Eigenvorsorge hat eine gesellschaftspolitische und eine bedarf sorientierte Funktion.

Gesellschaftspolitisch geht es darum, die Eigenverantwortung des einzelnen zu stärken und von einer Versorgungsmentalität („Der Staat sorgt für Dich") wegzukommen. Dabei können die sozialen Leistungen dem Bedarf des einzelnen wesentlich besser angepaßt werden.

Es gibt kein monopolistisches, einheitliches Leistungsangebot, sondern Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Leistungsangeboten. Eigenvorsorge ist daher eine „maßgeschneiderte Vorsorge".

Heute wird allerdings Eigenvorsorge bestraft und Unwirt-schaftlichkeit belohnt. Beispiel: Das Gesundheitswesen.

Die Sonderklassepatienten in den Spitälern müssen nicht nur die reinen Mehrkosten der Sonderklasse zahlen, sondern bekommen auch — obwohl sie nicht nur privatversichert, sondern auch sozialversichert und Steuerzahler sind — die Differenz zwischen dem amtlichen Pflegegebührensatz und dem viel geringeren Kostenersatz der Krankenkasse hinaufdividiert.

Ein Extrembeispiel ist hier das Allgemeine Krankenhaus in Wien, wo zwar der Pflegegebührensatz für die Sonderklasse nur um 140 Schilling höher liegt als in der allgemeinen Gebührenklasse, durch die geschilderte Regelung aber dem Sonderklassepatienten ein Tagsatz von 2.013 Schilling in Rechnung gestellt wird.

Auf der anderen Seite wäre die Bereitschaft zur Eigenvorsorge in weiten Kreisen der Bevölkerung durchaus vorhanden, wie die zahlreichen privaten Zusatzversicherungen beweisen. Insgesamt verfügen nämlich 2,2 Millionen Österreicher über eine private Lebensversicherung, 2,7 Millionen über eine private Krankenversicherung.

Allerdings ist der vor allem von sozialistischer Seite immer wieder geäußerte Einwand, daß sich ein Großteil der Bevölkerung die Eigenvorsorge nicht leisten könne, heute leider auch richtig. Denn eine ständige Belastungspolitik hat die Möglichkeiten zur Eigenvorsorge stark eingeengt. Dem einzelnen bleibt durch die ständig steigende Sozial- und Abgabenbelastung immer weniger von seinem Arbeitseinkommen übrig. Bei einer Abgabenquote von rund 43 Prozent verfügt der einzelne von jedem verdienten Hunderter heute nur mehr über 57 Schilling.

Ein Kurswechsel in Richtung Eigenvorsorge ist daher dringend notwendig. Er hat drei Schwerpunkte: Zunächst muß die Bestrafung der Eigenvorsorge beseitigt, d. h. die Privatversicherten müssen den übrigen Beitragszahlern gleichgestellt werden. Darüber hinaus ist ein Belastungsstopp notwendig, damit die Möglichkeiten zur Eigenvorsorge nicht noch weiter eingeengt werden.

Der dritte Schwerpunkt wären schließlich steuerliche Anreize zur Erleichterung der Eigenvorsorge. Hier sollte zunächst die heute bestehende unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung von gesetzlicher Pflichtversicherung und freiwilliger Versicherung aufgehoben werden. Alle Versicherungsformen, die der Zukunftssicherung dienen, egal ob im Bereich der Altersversorgung oder der Gesundheitsvorsorge, sollten steuerlich gleichwertig behandelt werden.

Als weiterer Schritt wäre anzustreben, jene Einkommensteile (innerhalb gewisser Grenzen) aus der steuerlichen Progression herauszunehmen und mit einem begünstigten fixen Steuersatz zu versteuern, die zur Eigenvorsorge angelegt werden. Das könnten Versicherungsformen sein, aber auch „produktneutrale" Ansparformen bei Geldinstituten.

Der Zeitpunkt für derartige Überlegungen wäre günstig. Die Diskussionen über eine Pensionsreform sowie über eine Steuerreform berühren unmittelbar diese Fragen.

Dazu kommt, daß in der Bevölkerung ein gewisser Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Sozialstaates, seinen Verpflichtungen auch immer nachkommen zu können, festzustellen ist.

Waren 1980 noch mehr als zwei Drittel der Österreicher davon überzeugt, „daß die Pensionen in den nächsten Jahren sicher sein werden" und mehr als die Hälfte davon, „daß der Staat immer zahlen" werde, so glaubt nach einer jüngst durchgeführten Meinungsumfrage nur mehr jeder Dritte daran.

Dabei ist das Mißtrauen umso stärker, je jünger und je gebildeter der Befragte ist. Es ist daher wohl kein Zufall, wenn eine große private Lebensversicherung vor einigen Tagen meldete, daß rund 45 Prozent ihrer neuen Kunden unter 30 Jahre alt sind.

Bei allen Diskussionen über die weitere Finanzierbarkeit des Sozialstaates wird man um eine Erkenntnis nicht herumkommen: daß nämlich die soziale Sicherheit langfristig nur durch einen Ausbau der individuellen Eigenvorsorge tragfähig ist.

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat und Gesundheitssprecher der OVP.

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