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Digital In Arbeit

Die selbstverwaltete Dichtung

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Sie sind keine geschlossene Gruppe, sie geben sich nach allen Seiten offen. Jeder, der Literatur macht und sich als Literaturproduzent fühlt, ist bei ihnen willkommen. Bei ihnen, das heißt bei Lutz Holzinger, wo sie sich jeden Donnerstag treffen, um ihre Probleme mit der Literatur, den Verlegern, den Massenmedien zu diskutieren. Immerhin haben sie jetzt dank der Initiative des Wiener Verlags „Jugend & Volk“ eine eigene Buchreihe: die „Outsider“ im Verlagsgeschäft sind zwar deswegen noch nicht gerade „ins Geschäft gekommen“, aber sie haben eine Reihe, in der jeder eine Arbeit publizieren kann, vorausgesetzt, die Literaturproduzentenkollegen finden die Arbeit druckreif.

Vier Bände dieser „Edition Literaturproduzenten“ — und eine Nullnummer — liegen bereits vor: „Modelle zur Kritik der Massenmedien“ von Lutz Holzinger, Michael Springer und Jörg Zeller, „Der kleine Mirko“, ein Trivialroman von Peter Matejka und Hans Trümmer (die „Furche“ wird Teile des Buches demnächst vorstellen), „Materialien zur Musiksoziologie“ von Elfriede Jelinek, Ferdinand Zellwecker und Wilhelm Zobl, und eine Anthologie „Neue Autoren I“, mit Beiträgen von Manfred Chobot, Marie-Therese Kerschbaumer und Thomas Losch.

Was ist das Ungewöhnliche an dieser Edition?

„Die Edition Literaturproduzenten ist die erste Buchreihe in Österreich, die von Autoren selbst gestaltet und redigiert wird. Der Arbeitskreis österreichischer Literaturproduzenten hat sich die Vergesellschaftung der literarischen und kulturellen Produktionsmittel im Sinne eines Rätesystems zum Ziel gesetzt. Die ,E. L.' besitzt daher den Charakter eines Modells. Der Verlag stellt dem Arbeitskreis die erforderlichen Produktionsmittel zur Verfügung. Die Form der Zusammenarbeit zwischen Arbeitskreis und Verlag garantiert die Selbstverwaltung der Autoren innerhalb eines abgesteckten Budgetrahmens. Die Zusammensetzung des Arbeitskreises aus Schriftstellern, Wissenschaftlern, Journalisten, Buchhändlern, Verlags-, Theater-, Film-, Femseh-und Hörfunkleuten garantiert ein breites Spectrum der in der ,E. L.' publizierten Arbeiten.“ Also wird für das neue Unternehmen geworben: Jeder Band kostet

39 Schilling, das heißt um 20 Schilling weniger als ursprünglich veranschlagt, die Auflage wurde durchwegs mit 3000 Exemplaren festgelegt. Kostendeckend wird das Unternehmen für den Verlag erst, wenn fast die gesamte Auflage abgesetzt werden kann.

Wie war es zur Realisierung dieses Projekts gekommen?

„Wir lassen uns von diesem Staat nicht länger als Alibi für seine bankrote Kulturpolitik mißbrauchen“, wetterten die Literaturproduzenten vor mehr als einem Jahr in einem Manifest. „Wir erklären den bestehenden Kulturapparat für überflüssig, der sich als inkompetente Richterinstanz zwischen uns und die Bevölkerung stellt. Wir fordern eine Demokratisierung der kulturellen Institutionen, einschließlich des Hörfunks und Fernsehens ... Wir fordern die Abschaffung von staatlichen Subventionen für bloß repräsentative kulturelle Veranstaltungen -wie auch von staatlichen Unterstützungen für einzelne Künstler und Intellektuelle. Wir fordern den Einsatz der freiwerdenden Mittel zur Entwicklung von künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten, die die Produzenten vom Bittstellerdasein befreien ... Wir fordern die Abschaffung von staatlichen Subventionen für sinnlos dahinvegetierende Verlage und für die Kunst- und Literaturzeitschriften dieser Verlage... Wir fordern den Einsatz der freiwerdenden Mittel für die Gründung eines verstaatlichten Verlags unter der Kontrolle der Verlagsangestellten und der Autoren.“

Damit war der Startschuß gegeben. Man überlegte, wie man der Mehrzahl junger österreichischer Autoren aus der tristen Situation helfen könnte. Cliquen gerieten dabei aneinander, alte Interessengruppen zerfielen und Verfeindete stritten sich aus Angst vor den „Jungen“ zusammen, bis im März 1971 der Verlag „Jugend & Volk“ sich zu dieser Zusammenarbeit entschloß. Ob nach diesem erfolgreichen Senkrechtstart weitere Aktionen folgen werden? Immerhin kündigen die Literaturproduzenten weitere Bände an: von Heidi Pataki Werner Hingst, Wilhelm Pevny, Leidergott-Northoff. Ob die Gruppe freilich auf die Dauer die Diskrepanz zwischen Idee und Finanzrealität wird ausgleichen können, bleibt die Frage.

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