Abtreibung: Schutz des Lebens um jeden Preis?

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Das Ringen um Schwangerschaftsabbruch in Vorarlberg hat vorerst ein Ende. Einmal mehr offenbarte sich dieses Thema freilich als Brandbeschleuniger für fundamentalistische Tendenzen. Ein Gastkommentar.

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Das Ringen um Schwangerschaftsabbruch in Vorarlberg hat vorerst ein Ende. Einmal mehr offenbarte sich dieses Thema freilich als Brandbeschleuniger für fundamentalistische Tendenzen. Ein Gastkommentar.

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Neuerdings erfahren weit rechtsstehende oder nach rechts gerückte Positionen und parallel dazu restaurativ-fundamentalistische religiöse Kräfte neuen Aufwind – u.a. bei den sogenannten „Märschen für das Leben“ mit dem Hauptthema der Abtreibung. Auch gemäßigte katholische Kreise setzen offenbar auf dieses Pferd, als hätte es eine Akzeptanz der Fristenlösung nie gegeben. So hat in Vorarlberg auch der eher liberale Bischof Benno Elbs den Plan von ÖVP-Landesrätin Martina Rüscher, im Ländle eine offizielle Stelle für Schwangerschaftsabbrüche im Landeskrankenhaus Bregenz einzurichten, zu verhindern versucht.

In Deutschland und Österreich finden diese Märsche auch unter Beteiligung politisch recht fragwürdiger Gruppen statt, die am rechten politischen oder konservativ-kirchlichen Rand zu verorten sind – etwa Leute, die auch schon bei Corona wüst gegen die medizinische Fachwelt und den Staat insgesamt demonstriert haben. In Deutschland ist neben religiösen Fundamentalisten auch die rechtsextreme AfD regelmäßig mit von der Partie. Über Europa hinaus sind es in den USA erzkonservative, Papst Franziskus feindlich gegenüberstehende Kardinäle sowie evangelikale Sektenführer, denen die Abtreibungsfrage genügt, um gegen den Demokraten Joe Biden und für den republikanischen Sexisten und Antidemokraten Donald Trump Stimmung zu machen. In Europa selbst wiederum hört man dazu auch antisemitismus-nahe Sprüche – so etwa gegen den Milliardär George Soros, der die Welt zum Abtreibungsparadies mache, ebenso wie Beschuldigungen der Fachgesellschaft „International Planned Parenthood Federation“ (IPPF), die – angeblich auch aus dunklen Quellen finanziert – für massenhafte Abtreibungen sorge. Das riecht verdammt nach Verschwörungstheorie.

Wo bleibt die Distanzierung?

Was mich daran stört, ist nicht, dass solche Überzeugungen öffentlich bekundet werden (in einer Demokratie selbstverständlich), sondern dass sich christliche Kirchenzugehörige, die eigentlich nicht zu diesem politischen Spektrum zählen, nicht deutlich von diesen Tendenzen distanzieren. Die Betonung der Sorge um in Not geratene Frauen wirkt zudem auch doppelbödig, wenn diesen zugleich mit Begriffen wie „Mord“ oder „Verstoß gegen die Menschenrechte“ recht undifferenziert massive Schuldgefühle gemacht werden. Oder wenn man zeitgleich gegen liberale Sexualerziehung in Schulen auftritt, obwohl diese nachweislich die Teenagerschwangerschafts- und -Abbruchraten senkt.

Man muss ja nicht explizit für „die Abtreibung“ sein, kann dem Ganzen aber dennoch mit einem differenzierten Blick begegnen. Ich selbst fühle mich etwa als „Abtreibungsbedauerer“ und erinnere mich an einen wichtigen Universitätslehrer, der meinte, die Abtreibung sei „gewiss ein Übel“, aber in bestimmten Fällen „das geringere“. Ich erachte andererseits auch den Slogan „Mein Bauch gehört mir“ als zu kurz und zu individualistisch gedacht, wenngleich die Frau im Vergleich zum Mann unvergleichbar mehr betroffen ist.

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