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Ehrenrettung

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Ob man ein Buch aus dem Nachlaß eines Schriftstellers herausgeben soll, das die Aufschrift trägt: „Nach meinem Tode nur für die Auserwähltesten! (Oder vielleicht zu verbrennen?!)“ ist ein Thema, das einen ganzen Abend füllen könnte. Da ließe sich Grillparzers Verdikt über sein bestes Werk „Bruderzwist in Habsburg“, Goethes Tabu gegen den „Urfaust“, O'Neills Vernichtungsurteil über sein letztes Drama anführen und durch viele andere Beispiele ergänzen. Hat man recht getan, indem man den letzten Willen mißachtete?

Die oben erwähnte Konfinierung findet sich in dem soeben von Elisabeth Koväcs edierten Band „Geheime Notizen des Joseph Columbus 1843 bis 1848“ gleichsam als Motto und Einführung — aber nicht um einer Sensation willen, wie sie aus dem Titel auch herauszuschauen scheint. Es handelt sich um die Notizen des Beichtvaters des jungen Kaisers Franz Joseph L, seines Bruders Maximilian und seiner Eltern. Natürlich werden keine Beichtgeheimnisse ausgeplaudert, dergleichen kommt ja nicht einmal heute vor. Die Notizen betreffen nur den Umgang mit der habsburgischen Familie und können heute als eine wertvolle Dokumentation gelten.

Der Autor, Domherr Joseph Columbus, unternimmt darin, ohne es zu wollen, denn ihm waren die von der späten Volksmeinung geprägten, von blinder Liebe zu Kaiserin Elisabeth geprägten Vorurteile noch nicht bekannt, eine Art Ehrenrettung der Kaisermutter Sophie, welche Würde und Verantwortung des Herrscherberufs kannte und fast verzweifelt Barrieren gegen die aus der Erbmasse ihres und des habsburgischen Hauses datierenden Umstände und gegen die immer stärker werdenden zersetzenden Einflüsse von außen her zu errichten bemüht war — selbst ein Opfer der Verhältnisse, da sie zu dem Manne, dem sie zeitlebens in jedem Bezug die Treue hielt, nicht aufsehen konnte: dem gütigen, aber geistig unzulänglichen Erzherzog Franz Karl. Daß er 1843 (nach der Abdankung Ferdinands „des Gütigen“) auf die Thronfolge zugunsten seines Sohnes Franz Joseph verzichtete, ist sicher nicht zuletzt auf ihre opfervolle Einsicht zurückzuführen.

Sie also wird in diesen Notizen lebendig, ihr Gemahl erscheint immer wieder am Rande (und niemals fällt ein Vorwurf gegen ihn), die beiden jungen Erzherzoge aber zeigen schon deutliche Unterscheidungen. Der spätere Kaiser Maximilian von Mexiko, der so tapfer und ruhig zu sterben verstand, ist noch ein ungebärdiger Junge, der mit Vergnügen eine Äußerung seines Erziehers, des Grafen Bombelles, der Papst sei ein Esel, kolportiert. Franz Joseph aber offenbart neben vorzüglichen Charaktereigenschaften, selbstlosem Mut in der Revolutionszeit, doch auch etwas wie „despotisches Wesen“ und die große Vorliebe für das Militär, die ihm geblieben ist. Mancherlei Modalitäten des recht bürgerlichen Hoflebens lassen sich herauslesen, es geht sehr familiär zu, wobei freilich ein Hauch von Gottesgnadentum immer spürbar bleibt.

Daß man diese Notizen nicht zu Kaisers Zeiten veröffentlichen konnte, ist verständlich; wären sie aber nicht jetzt bei der Verarbeitung des Nachlasses des Kirchenlehrers Wolfsgruber ans Tageslicht gefördert worden, so müßte man das bedauern.

GEHEIME NOTIZEN DES JOSEPH COLUMBUS 1843 BIS 1848. Herausgegeben von Elisabeth Ko-v des. 165 Seiten. Dom-Verlag, Wien. Im Rahmen der Wiener Beiträge zur Theologie.

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